Wallentin, Jan
seiner Zunge landeten, spürte er den bitteren Geschmack nach
Chloralhydrat. Er schluckte sie und nahm rasch einen Atemzug aus dem Inhalator
mit Trichlorethen, um schneller zur Ruhe zu kommen.
Beim
Einatmen mussten sich seine Augen für ein paar Sekunden verdreht haben, denn
Eva wirkte unruhig, als sie an seinem Arm rüttelte.
»Was haben
Sie dort unten gesehen?«, fragte sie, als es ihm wieder gelang, seinen Blick
zu fokussieren. »Nichts«, entgegnete Don. »Ist Malraux hier nicht begraben?«
Don legte
den Kopf in den Nacken und schaute zu den Glaslampen an die Decke hoch.
»Ich habe
mir schon gedacht, dass es sich nicht um einen Mann handelt«, murmelte Eva.
»Dann können wir ja ...«
»Doch,
Camille Malraux liegt dort unten«, unterbrach sie Don. »Gants
geshtorben, absolut tot, vorausgesetzt, sein Grab ist nicht leer.«
Eva ging
vor ihm in die Hocke. Nach einer Weile fragte sie: »Und sonst nichts?«
»Gehen Sie
hinunter und sehen Sie selbst, wenn es Sie so sehr interessiert.«
»Das Datum
stimmte? Die Buchstabierung des Namens?«
»Dort
stand nur >Tue á l'ennemi<. Vom Feind getötet.« Er sah sie an und
lächelte schwach. »A dead end, könnte man vielleicht sagen.«
Die
Rechtsanwältin saß eine Weile da, ohne etwas zu sagen. Dann stand sie auf und ging
auf die schwarze Öffnung in Richtung des Friedhofs zu, vor der es immer noch in
Strömen regnete. Sie stützte sich mit einer Hand gegen eine mit Schimmel
überzogene Säule, während sie mit der anderen eine Strähne ihres hochgesteckten
Haares richtete.
Don
schloss die Augen und lauschte dem Trommeln der Regentropfen.
»Camille
Malraux«, hörte er Eva sagen. »Camille Malraux, tue á l'ennemi. Vom Feind
getötet. Eine Postkarte, geschrieben an einen geliebten Mann, der im Krieg
starb.«
Er hörte
das Schaben ihrer Stiefel, und als er aufschaute, hatte sich die Rechtsanwältin
zu ihm umgedreht.
»Was hat
das zu bedeuten?«
Dunkelgrüner
Trenchcoat, die schmalen Arme verschränkt. Die Handtasche über der Schulter
hängend, verdrießliche Miene.
»Dass ein
Taxi auf uns wartet«, meinte Don.
Er hängte
sich den Riemen seiner Tasche über die Schulter und sammelte Kraft, um
aufzustehen. Eva stand wie ein Schatten vor dem herunterprasselnden Regen.
»Eberlein
lag ziemlich viel daran zu erfahren, was Sie bei Erik Hall zu Hause gefunden
haben ...«
Don
seufzte und lehnte sich wieder zurück gegen die Wand.
»Er
glaubte wahrscheinlich, es handelte sich um etwas anderes. Der Taucher wusste
womöglich mehr, als er mir erzählt hat. Dass ich diese Postkarte gefunden habe,
war ja eher Zufall; sie muss nicht unbedingt etwas bedeuten, oder? Erik Hall
könnte sie auch selber geschrieben haben. Vielleicht hegte er ein brennendes
Interesse für den Ersten Weltkrieg.«
»Und
dennoch gibt es einen Camille Malraux, der im Grab Nummer 1913 auf dem
Friedhof Saint Charles de Potyze außerhalb von Ypern liegt. Auch das Datum
stimmt überein, gestorben am 22. April während eines Giftgasangriffs bei
Gravenstafel.«
Sie
verließ ihren Platz an der Öffnung des Mausoleums, ging auf ihn zu und streckte
ihre Hand vor.
»Lassen
Sie mich noch einmal einen Blick drauf werfen.«
Don nahm
die Postkarte aus der Innentasche seines Jacketts. Sie sah ziemlich mitgenommen
aus; die Pappränder waren vom Regen aufgeweicht und begannen sich bereits
aufzulösen. Er drehte sie um und stellte fest, dass die Tinte zumindest noch
nicht verlaufen war. Gab sie ihr, woraufhin sie die Zeilen noch einmal vor sich
hin murmelte:
La
bouche de mon amour Camille Malraux Le 22 avril L'homme vindicatif L'immensite
de son desir Les supremes adieux 1913
Ihre
Nasenspitze hatte sich durch die Kälte gerötet. Schmale Lippen, in Falten
gelegte Stirn, durchsichtige Augen, die sich von links nach rechts bewegten.
Eva drehte
die Karte um und schaute sich das Bild des Gotteshauses erneut an.
»Könnte es
sein, dass es sich um eine Art Wortspiel handelt?«, fragte sie. »Eine Chiffre?«
»Es kann
sich um eine völlig bedeutungslose alte Postkarte handeln, die der Mann im
Bergwerk bis ins hohe Alter hinein aufheben wollte, bis er sich stattdessen mit
Hilfe eines Pfriems das Leben genommen hat«, bemerkte Don.
Sie
lächelte nicht.
»La
bouche de mon amour Camille Malraux«, las Eva. »Die Lippen meines Geliebten
Camille Malraux.«
Sie
heftete ihren Blick auf Don, und es sah aus, als erwartete sie eine gewisse
Unterstützung. Schließlich holte er tief Luft und unternahm einen
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