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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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wiederhaben?«
    »Noch
nicht.«
    Außerhalb
des Mausoleums erfasste eine starke Windbö die Weiden. Eine weitere Lampe
schien allmählich ihre Funktion aufzugeben, während sie mit einem knackenden
Geräusch zu flackern begann.
    »Die
Märtyrerin«, murmelte Eva. »Vielleicht meinte er Malraux.«
    »Ein
Märtyrer für sein Land«, sagte Don, »ja sicher. Oder aber er bezieht es auf
sich selbst. Nämlich dass er, der Mann im Bergwerk, unter der Trauer und dem
Verlangen nach seinem französischen Unterleutnant litt. Dass der den Grund für
seinen Selbstmord darstellte.«
    Eva hatte
ihren Kopf in die Hände gelegt und sank in sich zusammen.
    Don wollte
schon fragen, ob es ihr nicht gutginge, doch sie hatte offenbar nur dagesessen
und nachgedacht, denn jetzt fragte sie: »Wie war noch mal der Wortlaut des
Gedichts?«
    »Auf
Schwedisch?« Sie zuckte mit den Achseln.
    »Er hat
die Worte von der Beschreibung des Missbrauchs entlehnt.«
    Don
schloss die Augen und rezitierte aus seiner Erinnerung:
    »Hat der
rachsüchtige Mann, des nimmersatte Triebe Du lebend nicht gestillt, Auf deinen
toten Leib das Übermaß der Liebe Gehäuft und angefüllt?
     
    Unkeuscher
Leichnam sprich!
     Richt,
auf die starre Mähne
    Mit
fieberschwerer Hand,
    Hat er,
sprich furchtbar
    Haupt, auf
deine kalten Zähne
    Den
letzten Kuss gebrannt?«
     
    Als er die
Augen wieder öffnete, sah er, dass die Rechtsanwältin ihn fragend anschaute.
    »Sagten
Sie: >Hat er, sprich furchtbar Haupt, auf deine kalten Zähne den letzten
Kuss gebrannt?    »So
lautete die Übersetzung.«
    »Klingt
eigentümlich.«
    »Vielleicht
muss man eigentümlich sein, um Baudelaire treffend zu übersetzen«, meinte Don.
    Sie saß
nachdenklich da und hielt die Postkarte ins Licht. Flüsterte die Worte erneut.
    »Les
supremes adieux. Auf deine kalten Zähne den letzten Kuss gebrannt. Und wie
lautete das Ende des Ursprungstextes?«
    »Des
Ursprungstextes?«
    »Wie
lautet das Gedicht auf Französisch?«, fragte Eva.
    »Wollen
Sie es wirklich hören?«
    »Nur wenn
Sie versuchen, das R nicht so zu rollen.«
    Don
schloss erneut die Augen und begab sich in seiner Erinnerung zurück zur
Aufseherin und dem surrenden Computer im Forschungssaal. Dann begann er aus
seinem fotografischen Gedächtnis vorzulesen:
     
    »Dis-moi,
tete effrayante, at-il sur tes dents froides Colle les supremes adieux?«
    Es wurde
still. Dann:
    »Colle les
supremes adieux?« Don nickte.
    »Nichts
von einem Kuss? Une bise, un bisou, une baiser?« Er
schüttelte den Kopf.
    »Coller -
das bedeutet eigentlich kleben«, erklärte
Eva. »Die letzten Worte heißen wörtlich: klebte er die letzten Abschiede auf
deine kalten Zähne, oder vielleicht auf deinen kalten Mund. Was hätte der Mann
im Bergwerk auf den Mund seines Geliebten kleben können?«
    Als sie
aufstand, schaute Don sie fragend an.
    »Könnte es
vielleicht so sein, dass ...«
    »Sie
glauben doch nicht ...«
    »... dass
der Lippenabdruck auf der Postkarte nach dem Tod
von Malraux auf die Karte gepresst wurde, als er bereits im Grab lag? Der Mann
im Bergwerk hat es möglicherweise geöffnet und später wieder verschlossen. Was
hätte er sonst dort unten bei seinem Geliebten verstecken sollen?«
    Don raufte
sich die Haare.
    »Ich
denke, Sie sollten zum Taxi hinausgehen und fragen, ob der Fahrer Werkzeug
dabeihat«, meinte Eva.
     
    Als es Don
schließlich gelungen war, den Weg zurück durch die Pforte zu finden, waren
seine Stiefel mit Matsch verschmiert.
    Das Taxi
stand unbeleuchtet da, und er dachte ein wenig erleichtert, dass der Fahrer
wohl eingeschlafen war. Doch dann wurden die Scheinwerfer eingeschaltet, und
die plötzliche Helligkeit machte Don blind. Er hob die Hand vor die Augen und
musste sich die letzten Meter vorantasten, um an die Scheibe der Fahrertür
klopfen zu können.
    Das
Fenster wurde heruntergelassen:
    »Und Ihre
Freundin?«
    »Sie ist
noch dort«, erklärte Don. Er sprach laut, um den Regen zu übertönen. »Wissen
Sie eigentlich, wie spät es ist? Ich hab hier fast eine Stunde gestanden und
gewartet.«
    »Ja, wir
...«
    »Haben Sie
die Toten gesehen?«
    »Sie
liegen noch immer an Ort und Stelle«, antwortete Don.
    Der Fahrer
bewegte seine Lippen, doch seine Worte wurden vom Prasseln des Regens
verschluckt. Don redete jetzt so laut er konnte:
    »Die Sache
ist folgende ... Wir brauchten etwas Werkzeug.«
    Einen
Augenblick war er nicht sicher, ob der Fahrer sein Anliegen verstanden hatte,
doch dann wurde ein weiteres Mal eine lückenhafte

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