Wallentin, Jan
Zahnreihe im Auto sichtbar:
»Gegen
eine Gebühr könnte ich Ihnen etwas leihen«, meinte der Fahrer und sah ihn mit
Augen an, deren Lider vom Alkohol schwer waren. »Für dreihundert Euro können
Sie sich aus dem Kofferraum nehmen, was Sie wollen.«
Don
überlegte, ob er Eva wegen der hohen Summe irgendeine Lüge auftischen sollte,
doch dann nahm er Hex' Scheinbündel zur Hand und begann das Geld unter dem
Regenschirm nachzuzählen.
»Zweihundertfünfzig«,
entgegnete er.
»Dreihundert,
wenn Sie da drinnen im Friedhof bleiben und graben. Und weitere dreihundert,
wenn Sie wollen, dass ich warte.«
Eine
blaurote Zunge fuhr hastig über die Zahnreihe.
Don
entfernte sich ein Stück, fluchte im Stillen und rechnete das Geld noch einmal
nach.
»Dreihundert
für alles zusammen«, entschied er, als er zurückkam und wieder hinunter ins
Taxifenster schaute.
Der Fahrer
nahm die zusammengerollten Scheine aus seiner Hand entgegen und beugte sich
vor, um den Kofferraum von innen zu öffnen.
Als Don
sich umdrehte, um loszugehen und nachzuschauen, hörte er einen letzten
krächzenden Ausruf. Er blickte sich um und sah, wie sich eine Hand mit einer
Visitenkarte aus dem Fenster streckte. Offenbar war er ein guter Kunde. Nachdem
er sie entgegengenommen hatte, ließ der Fahrer die Scheibe unmittelbar wieder
hochfahren, wahrscheinlich damit es im Fahrerraum trocken und warm blieb.
Unter dem
Reservereifen im Kofferraum lag ein zusammengerolltes Bündel mit groben
Meißeln, das Don sich in den Hosenbund steckte. Nachdem er eine Weile
herumgewühlt hatte, fand er ebenfalls eine Taschenlampe aus schwarzem Gummi,
deren Batterien so gut wie leer waren.
Sie ging
auf dem Rückweg über den Friedhof mehrfach aus, und als sie schließlich
funktionierte, verbreitete sie einen orangeroten Schein, der nicht weiter als
einen Meter reichte.
Als er das
Portal des Mausoleums erreichte, sah er, dass Eva die Holzluke eigenhändig
geöffnet hatte. Die Treppe war wieder sichtbar, und der Gestank von unten
hatte sich ebenfalls wieder ausgebreitet.
»A groyse
shande, eine große Schande«, murmelte Don, als er auf sie zuging
und das Werkzeug vor ihr hoch hielt.
Dann nahm
er einen langen Meißel mit Holzschaff zur Hand und richtete die Taschenlampe
auf die obersten Treppenstufen.
»Eigentlich
soll man die Toten ruhen lassen«, bemerkte er.
»Ich kann
ja alleine gehen«, entgegnete Eva.
Don
spürte, wie sich sein Brustkorb zusammenschnürte, woraufhin er ein letztes Mal
in seine Schultertasche griff, um zwei Tramadol hervorzukramen. Dann sah er,
wie Eva auf der Treppe nach unten verschwand und begriff, dass ihm keine
andere Wahl blieb.
Die
Taschenlampe taugte wirklich nichts. Nach einigen Sekunden erlosch sie, und er
musste sie schütteln, bevor sie wieder anging. Im orangeroten Lichtkegel konnte
er sehen, wie Eva zu ihm hinaufblinzelte. Sie stand auf der untersten
Treppenstufe oberhalb der Überschwemmung.
»Wo
befindet sich der Grabstein von Malraux?«, fragte sie. Don ließ das Licht
oberhalb des bräunlichen Wassers ein paar Meter über die Wand gleiten. »Tue á l'ennemi«,
flüsterte Eva. Er reichte ihr den langen Meißel. »Bitte sehr.«
Doch es
handelte sich um eine aussichtslose Geste, denn er wusste nur zu gut, dass er
derjenige sein würde, der in das schmutzige Wasser aus dem Abfluss
hinuntersteigen musste. Mit einem ersten vorsichtigen Schritt tastete er sich
mit der Schuhspitze unter die Wasseroberfläche vor und spürte, wie es ihm
eiskalt durch die Ösen seiner Schnürsenkel lief.
»Di ale
toyte mentshen, all diese toten Menschen«, sagte Don leise und ließ
seinen Blick über die Grabsteine schweifen.
Er setzte
den ganzen Fuß unter die Oberfläche, woraufhin sein Unterschenkel mit einem
platschenden Geräusch bis zur Kniekehle in der Brühe versank.
»Wahrscheinlich
ist es nicht besonders tief«, mutmaßte Eva von hinten.
Don hörte,
wie er irgendeine Antwort vor sich hin grummelte, und stieg dann rasch die
restlichen Stufen hinunter. Die braune Brühe reichte ihm schließlich bis zur
Taille, und er bemühte sich mit aller Kraft, nicht durch die Nase einzuatmen.
Gleichzeitig war er gezwungen zu hyperventilieren, um seinen Kreislauf in Gang
zu halten.
Er watete
an der Längsseite der Treppe zurück, und als er Eva erreicht hatte, streckte
er die schwarze Taschenlampe zu ihr hoch.
»Sie
können mir vielleicht helfen, indem Sie mir leuchten.«
Ein
orangeroter Strahl wanderte von der Decke hinunter die Wand
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