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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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Decke und versuchte ihre Gedanken wieder zu Titelman
zurückzulenken. Wollte ihn vor sich sehen, wie er mit seiner Schultertasche
gebeugt durch die Straßen von Ypern streifte. Hatte man ihn überhaupt in die
reizenden kleinen Boutiquen hineingelassen, wo er doch so entsetzlich nach
Verwesung stank?
    Eva
spürte, wie sich so etwas wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht abzeichnete, und
drehte sich auf die Seite.
    Auf dem
Rücken zu schlafen, war ihr unmöglich. Der Bereich zwischen dem zweiten und
dritten Lendenwirbel schmerzte; er würde niemals wieder richtig heilen. Dort
hatten die Ärzte die grobe Nadel hineingestochen, als sie die violette
Flüssigkeit in ihren Rückenmarkskanal injizierten. Die Narben waren noch zu
sehen, obwohl sie die ersten Injektionen bereits mit gerade mal fünfzehn Jahren
erhalten hatte. Man versicherte ihr, es nur zu ihrem eigenen Besten getan zu
haben. Eva spürte, wie sich ihre Hand oberhalb des Zwerchfells zur Faust
ballte, wo ihr jegliche Empfindung fehlte.
    Doch schließlich
senkte sich eine alles überdeckende Ruhe über sie. Sie hörte, wie der
Wasserhahn im Bad tropfte, schaffte es aber nicht aufzustehen. Trieb dösend in
die Dunkelheit hinein, während das Tröpfeln des Wassers immer mehr in den
Hintergrund rückte, bis es sich schließlich mit einem leichten Klopfen
vermischte.
    Eva
erwachte und lag eine Weile horchend da, während sie versuchte das Geräusch
einzuordnen. Dachte, dass sie sich verhört hatte. Rückte das Kissen unter dem
Kopf zurecht, murmelte etwas vor sich hin, bis das Hotelzimmer wieder aus ihrem
Bewusstsein entschwand.
    Dann war
es erneut zu hören, diesmal ein festes Klopfen an der Tür zu ihrem Hotelzimmer.
    »Ja?«,
antwortete Eva, bevor sich ihre Sinne schärften, und sie einsah, dass es besser
gewesen wäre, den Mund zu halten.
    Es klopfte
nochmals.
    Eva setzte
sich so vorsichtig sie konnte auf und vermied es, die Nachttischlampe
anzuknipsen. Sie überlegte, wo sie ihre Stiefel und den Trenchcoat abgelegt
hatte, und erblickte beides auf einem Stuhl.
    Sie
stellte ihre nackten Füße auf den Boden.
    Ohne
Schuhe gelang es ihr, lautlos über den Kunststoffteppich in den Flur des
Hotelzimmers zu schleichen. Auf dem Weg dorthin überlegte Eva, wie stabil die
Tür war, gesetzt den Fall, jemand wollte sie aufbrechen. Sie versuchte sich
vergebens daran zu erinnern, ob sie solide oder eher instabil war, als sie sie
heute Morgen hinter sich zugezogen hatte. Was sie definitiv wusste, war, dass
ihr das Schloss recht robust erschien.
    Durch den
Spion in der Tür fiel ein minimaler Streifen Licht in den dunklen Zimmerflur.
Eva hielt ihr rechtes Auge an die runde Öffnung und schaute hinaus. In der
Verzerrung des Glases schauten ein paar grüne, schwarz geschminkte Augen
zurück. Dort stand eine junge Frau, die zu wissen schien, dass Eva sich jetzt
vorgetraut hatte.
    »Miss
Strand?«, fragte die Frau mit heller und auffallend freundlicher Stimme.
    Eva war
kurz davor zu öffnen, doch dann erblickte sie die anderen Schatten draußen im
Korridor: einen kräftigen Mann mit Militärjacke sowie einen zweiten mit
länglich geformtem rasierten Schädel.
    Die Frau
schien jedoch das Sagen zu haben. Sie trug eine Motorradkluft, die so eng
anlag, dass es aussah, als hätte sie sich an dem schmalen Körper festgesaugt.
Unter einem Arm hielt sie einen schwarzglänzenden Integralhelm. Den anderen
nahm sie jetzt hoch, um erneut zu klopfen, diesmal extrem laut.
    »Miss
Strand. Please, open up.«
    Was war
das für ein Akzent? Ein deutscher? Nein, kein deutscher ... ein französischer?
Italienischer?
    Weiter als
bis dorthin konnte Eva nicht denken, da sich die kleine Hand dort draußen jetzt
zu einer Faust geformt hatte und die Frau mit voller Kraft gegen die Tür
hämmerte.
    »Miss
Strand! Sie haben dort drinnen etwas, das uns gehört.«
     
    Später,
als Eva die Ereignisse im Rückblick betrachtete, war sie erstaunt darüber,
dass sie sich nicht bereits nach dem ersten knallharten Faustschlag vom Spion
entfernt hatte. Doch diese Kindfrau hatte etwas an sich, das es nicht zuließ,
den Blick von ihr loszureißen: eine gewaltige Energie, die sich in einem viel
zu kleinen Körper entlud.
    Die
nächsten Faustschläge waren so heftig, dass sich das Hämmern
höchstwahrscheinlich bis in alle Stockwerke des Hotels ausbreitete. Eva hörte,
wie ihr Name noch einmal laut gerufen wurde, doch nun schien es ihr, als
befände sich die Stimme der jungen Frau plötzlich mitten in ihrem Kopf.

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