Wallentin, Jan
Klebestreifen
angebracht, und auf einem handgeschriebenen Zettel stand, dass die
Fernbedienung abhandengekommen war.
Die
Frotteedecke begann sich zu bewegen, als Eva sich zur Seite drehte und mit
steifen Gelenken aufsetzte. Als ihr Gesicht vom Sonnenlicht erfasst wurde,
blinzelte sie und schüttelte dann den Kopf, um sich in Erinnerung zu rufen, wo sie
sich befand.
Sie blieb
noch eine Weile auf der Bettkante sitzen, um Kraft zu sammeln. Bemühte sich, so
leise wie möglich zu atmen, um Titelman nicht zu wecken. Schließlich gelang es
Eva aufzustehen und auf nackten Füßen ins Bad zu verschwinden.
Dort drinnen
kehrte die Erinnerung zurück: an den elfenbeinfarbenen Stern, den sie zusammen
mit dem kleinen Zettel, den Don dem Franzosen aus den Fingern gewunden hatte,
unten im Grabgewölbe in ihrer Hand gehalten hatte.
Titelman
war nach der langen Zeit im eisigen Wasser dermaßen unterkühlt gewesen, dass
er während der Rückfahrt vom Saint Charles de Potyze mit Schüttelfrost im Taxi
gesessen hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn an sich gezogen und wie
ein Kind gehalten hatte, um ein wenig menschliche Wärme auf ihn abzustrahlen.
Das war das Mindeste, was sie für ihn tun konnte, nach all dem, was er völlig
ohne eigenes Verschulden hatte durchstehen müssen.
Nachdem
Eva sich angezogen hatte, ging sie zum Stuhl, über dessen Lehne Dons Jackett
hing.
Als sie
ins Hotel zurückkehrten, waren beide so müde gewesen, dass sie sich nicht
einmal über den kurzen Inhalt des Briefs ausgetauscht hatten. Jetzt nahm sie
das Blatt Papier aus der Innentasche des Jacketts, faltete es vorsichtig auf
und las noch einmal die auf Norwegisch abgefassten Zeilen:
Elskede
Camille!
Leitet jeg
ga deg, er oppfylt.
Porten til
underjorden er lukket. Jeg skulle omsle at jeg hadde
vaert i stand til mer.
Herfra
reiser jeg inn i mitt eget Nifheimr, hvor den andre tingen for alltid vil vaere
skjult.
din Olaf
Geliebter
Camille!
Das
Versprechen, das ich dir gegeben habe, ist erfüllt.
Die Tür
zur Unterwelt ist geschlossen. Ich wünschte, ich wäre zu mehr imstande gewesen.
Von hier aus reise ich in mein eigenes Niflheim, wo die anderen Dinge für immer
verborgen sein werden.
Dein Olaf
Sie
stellte fest, dass ihre Hand leicht zitterte, als sie den Zettel wieder zurück
in Titelmans Jacketttasche schob.
Dann zog
Eva ihre italienischen Stiefel an, hängte sich den Trenchcoat über die
Schultern und warf einen letzten Blick auf die magere Gestalt im Doppelbett. Er
war noch nicht aus seinen Träumen erwacht.
Draußen im
engen Flur drückte sie den Türgriff herunter und schloss dann die Tür des
Hotelzimmers so leise sie konnte. Das Messinggeländer der Treppe war nur
notdürftig verankert, weshalb sie sich mit einer Hand an der Wand abstützte,
während sie die steile Treppe zur Rezeption des Hotels hinunterstieg. Sie
nickte der Frau zu, die dahinter stand, und öffnete dann die Tür hinaus zum
Grote Markt.
Vor den
Tuchhallen flatterten die roten Fahnen im Sonnenschein. Doch Eva wollte von dem
offenen Platz wegkommen und bog in die Boomgaardstraat ein. Während sie
zwischen Schaufenstern und geparkten Autos entlanglief, suchte sie mit dem
Blick in den Seitengassen nach einer lauschigen Ecke. In einer Nebenstraße erblickte
sie ein Schild, auf dem in schnörkeliger Schrift »Cherry blossom tearoom«
stand.
Vor den
Fenstern des Cafes hingen weiße Spitzengardinen. Oberhalb der Tür ertönte ein
Glöckchen, und hinter dem geschwungenen Tresen wandte sich ihr eine junge Frau
zu. Eva bestellte eine Tasse heiße Schokolade mit Sahne und eine Waffel. Dann
setzte sie sich an einen Tisch weit hinten im Lokal, um den Blicken der anderen
Gäste zu entgehen.
Nachdem
sie sich den nussartigen Schokoladengeschmack auf der Zunge hatte zergehen
lassen, nahm sie ihr Handy aus der Handtasche. Mit Erstaunen spürte sie, wie
sie ein vages Schamgefühl befiel. Dennoch tippte sie die Auslandsvorwahl und
danach die lange Nummer ein, die sie sich so gut eingeprägt hatte.
Langgezogene
hallende Signale.
Als sie
gerade auflegen wollte, meldete sich jemand. Jemand, der das Recht besaß zu
erfahren, was gerade geschehen war.
Der Mast
Vater
hatte sein engmaschiges Netz von Kontakten im Verlauf vieler Jahre geknüpft.
Doch dieses Mal schien selbst, nachdem er an allen denkbaren Fäden gezogen
hatte, nichts zu funktionieren.
Außer über
die Schlamperei der Polizei in dem kleinen Randstaat im Norden war
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