Wallentin, Jan
vorbeiging:
»Wie
konnten Sie nur so naiv sein?«
Dons Mund
fühlte sich plötzlich noch trockener an, während er hörte, wie die Tür auf der
anderen Seite des Taxis zugezogen wurde. Der Motor des Wagens lief, Eva saß auf
dem Rücksitz, und dennoch schien irgendetwas nicht zu stimmen.
Für die
Frau schien die Sache geklärt zu sein. Sie war mit der Hand in der Jackentasche
auf dem Weg zurück zum Alten Hof und befühlte den Stern. Doch die beiden
kahlrasierten Männer standen immer noch da.
Don hörte,
wie die Frau ihnen zurief, sie sollten ihr folgen, doch sie schienen sich nicht
länger um ihre Anweisungen zu kümmern. Ihm fiel ein, dass er vergessen hatte,
sie vor dem Stern zu warnen - alles war schließlich nach Plan gelaufen ... aber
nun hatte er genug mit sich selber zu tun.
Der Ringer
war direkt auf ihn zugekommen und hielt einen feuchten Baumwolllappen in der
Hand. Don nahm den süßlichen Geruch nach Chloroform wahr, als ihm der Lappen
plötzlich gegen den Mund gepresst wurde. Aus dem Griff um seinen Nacken herum
konnte er sich unmöglich befreien, insbesondere jetzt nicht, wo alles um ihn
herum zu verschwimmen begann.
Was soll
das, dachte Don noch kurz bevor ihm die Knie wegsackten und alles Deutsche um
ihn herum langsam wegdämmerte.
Die Erblindung
Das
Betäubungsmittel der Deutschen schien jegliche Dämpfung im Inneren seines
Kopfes aufgehoben zu haben, so dass das Gehirn gegen die Schädeldecke schabte,
was ihm rasende Kopfschmerzen verursachte.
Mit der
Wange auf einem eiskalten Steinboden liegend, fragte sich Don, ob sie ihm nach
der Betäubung mit dem Lappen eine Art Ketamin injiziert hatten. Denn diese
Wellen aufbrandender Übelkeit, die ihn befielen, als er versuchte sich auf die
Ellenbogen zu stützen, kamen ihm bekannt vor, während sich in seinem Mund der
vertraute Geschmack nach Bittermandel und Zitrone ausbreitete. Aber noch nie
hatte er erlebt, dass ein Ketaminrausch zur Erblindung führte. Und dennoch
konnte er nichts sehen.
Es brannte
auf seiner Hornhaut, als er sich mit Hilfe seiner Finger versichern wollte, ob
er die Augen auch wirklich geöffnet hatte. Um ihn herum war immer noch alles
verschwommen schwarz, und in Mund und Nase nahm er den Geruch eines muffigen
Erdlochs und abgestandener Feuchtigkeit wahr.
Er begann
seine Kniegelenke zu massieren, um sie aus ihrer kühlen Steifheit zu befreien.
Es knackte, als er seinen krummen Rücken aufrichtete. Wie lange er
bewegungslos auf dem Boden gelegen hatte, wusste er nicht. Vermutlich mehrere
Stunden, denn um aufzustehen benötigte er diverse schmerzhafte Anläufe.
Schließlich
erlangte Don ein gewisses Gleichgewicht auf den Beinen und begann sich mit
kleinen Schritten vorwärts zu bewegen. Er hielt die Arme ausgestreckt vor sich
wie ein Schlafwandler in der verwirrten Hoffnung, aus purem Zufall einen Weg
aus dieser totalen Dunkelheit heraus zu finden. Doch nach ungefähr einem Meter
stießen seine Finger gegen eine Wand.
Als er die
raue Oberfläche befühlte, begriff er, dass er vor einer Mauer stand. Sie wölbte
sich, als wäre sie abgerundet, und er begann ihren Steinen von Fuge zu Fuge zu
folgen.
Während er
sich an der Mauer entlangbewegte und bemüht war, seine Schritte zu zählen,
musste er an Eva und die Ereignisse vor dem Restaurant denken. An die Warnung
vor dem Stern, die er nicht mehr ausgesprochen hatte, bevor man ihm den
betäubenden Lappen gegen den Mund presste. Was danach mit der Rechtsanwältin
geschah, hatte Don nicht mehr mitbekommen, und beim näheren Nachdenken darüber
wollte er es auch lieber nicht wissen.
Er hatte
dreißig Schritte innerhalb eines Halbkreises gezählt, bis er an etwas
Rasselndes aus Metall stieß. Er griff danach und hielt eine grobgliedrige
Eisenkette in den Händen - im selben Augenblick wusste er, dass er sich im
Keller unter dem Westturm der Wewelsburg befand.
Don versuchte
vergebens, die erstickende Erinnerung auszublenden. Doch er sah sie bereits
wieder vor sich: die Museumsführerin mit ihrem blonden Haar, den gefärbten
Augenbrauen und dem rot geschminkten wachsartigen Mund. Sie hatte damals einen
bunten Seidenschal getragen, er erinnerte sich, dass er mit einer Porzellanbrosche
in Form der dreieckigen Silhouette der Naziburg zusammengehalten war.
Den
Ausgangspunkt der geführten Tour durch das Museum der Burg bildete die
Fotografie Heinrich Himmlers. Sie hatten beide davorgestanden und das Gesicht
des SS-Führers betrachtet, das man sich in seiner Charakterlosigkeit
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