Wallentin, Jan

Menschen, hauptsächlich Russen, die
sich zu Tode schufteten, verhungerten, gehängt oder erschossen wurden.
>Vernichtung durch Arbeit<, wie es hieß.«
    Die
Rechtsanwältin atmete leise aus, ohne etwas zu entgegnen.
    »Niederhagen
hieß das lokale Konzentrationslager. Es wurde so gewissenhaft geführt, dass der
Leiter auf einen Offiziersposten in Bergen-Belsen befördert wurde. Sein altes
Wachhaus ist inzwischen zu einem Zweifamilienhaus umgebaut worden, habe ich gehört.«
    »Ist doch
idiotisch, jemanden in einem Museum einzusperren«, murmelte Eva.
    Don zuckte
mit den Achseln:
    »Auf jeden
Fall wird es schwer werden, wieder herauszukommen.«
    Dann berührte
er mit seinen Fingern vorsichtig ihr Gesicht. Von der Schwellung unter ihrem
Auge war nichts mehr zu spüren.
    »Sie
heilen wirklich schnell«, stellte Don fest.
    »Man hat
mich nur während der ersten Stunden geschlagen«, erklärte Eva. »Nachdem es
ihnen gelungen war, die Codes zum Server Ihrer Schwester aus mir
herauszubekommen, schienen sie davon auszugehen, dass es ihnen gelingen würde,
Sie hierher zu locken. Aber jetzt ...«
    Sie
beendete den Satz nicht und fragte stattdessen: »Was für einen Namen haben Sie
da übrigens genannt?«
    »Wann?«
    »Kurz
bevor Sie fast auf mich getreten wären.«
    »Wiligut?«
    »Ja ...
Wiligut. Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
    »Es ist
sein Fehler, dass die Burg überhaupt noch steht. Es gelang ihnen nicht, den
Nordturm zu sprengen; nicht einmal, als die SS-Leute selber Hand anlegten. Er
stellt eine Art okkulte Schattenfigur im Nationalsozialismus dar. Ein alter
österreichischer Armeeoffizier, der angeblich in der Zeit zwischen den
Weltkriegen unbehelligt innerhalb der Rüstungsindustrie gearbeitet hat, um
dann zu Beginn der 30er Jahre als urarisches Orakel bei Himmler aufzutauchen.
Niemand weiß sonderlich viel über ihn außer, dass er einmal in eine
geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde, was Heinrich Himmler zum
Anlass nahm, ihn rauszuschmeißen. Er ...«
    Es
klapperte, woraufhin ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und aufgeschlossen
wurde. Ein quietschendes Geräusch, und dann änderte sich die Farbe der
Dunkelheit.
    Ein
Lichtkegel, der zuerst auf den Boden gerichtet wurde und dann sachte über die
Wände des Turmkellers glitt, erhellte das Dunkel. Als er schließlich auf ihre
Gesichter fiel, blinzelten Eva und Don, geblendet durch den starken Strahl.
    »Don
Titelman?«, hörte er eine wohlbekannte Stimme fragen.
    Dann wurde
das Licht im Treppenhaus angeschaltet, und mit zusammengekniffenen Augen
erkannte Don die Konturen einer entspiegelten Brille, die keinem anderen
gehören konnte als Reinhard Eberlein. Unmittelbar hinter dem Deutschen war eine
untersetzte Gestalt zu erkennen, die irgendwie an eine Kröte erinnerte.
     
    Der Nordturm
     
    Der Wind
ergriff die Fensterscheiben in der Eingangshalle der Burg und ließ sie hinter
den vorgezogenen Gardinen erzittern. Ein paar Meter von ihnen entfernt wankte
die Kröte im schummrigen Licht an den Büsten der ernst dreinblickenden
Fürstbischöfe von Wewelsburg vorbei, den Turmschlüssel in der Hand hin- und
herpendelnd. Hinter ihm ging eine Rechtsanwältin der Kanzlei Afzelius in
Borlänge mit Namen Eva Strand.
    Eberlein
hatte Don untergehakt und ihn dicht an sich gedrückt, während sie ihnen
folgten. Das Einzige, was die katzenhafte Gestalt des Deutschen von seinem
Auftritt in der Villa Lindarne auf Djurgärden unterschied, war der Knopf in
seinem Ohr mit einer Funkverbindung, die seitlich entlang seines gräulichfahlen
Gesichts herunterhing. Die Lippen des älteren Mannes leuchteten nach wie vor
ein wenig zu rot, und das nach innen gekehrte Lächeln hinter den entspiegelten
Brillengläsern schien ihn noch immer nicht verlassen zu haben.
    Sie hatten
keine Eile, und dementsprechend langsam bewegte sich die kleine Gruppe durch
den hallenden Steinkorridor.
    Vor einem
Modell von Himmlers Projekt »Mittelpunkt der Welt« machten die Deutschen eine
Pause. Sie blieben lange stehen und betrachteten es. Hinter dem Glas befand sich
die monströse SS-Festung, von der die Nazis 1941 träumten. Eine Ansammlung riesiger
Betongebäude, die den Nordturm umgaben und jegliches Zeichen von Leben in der
umliegenden westfälischen Landschaft erstickten.
    »Eine
bemerkenswerte Person, dieser Karl Maria Wiligut«, hörte Don Eberlein vor sich
hin murmeln.
    Doch bevor
er protestieren konnte, winkte der Deutsche abwehrend, da er eine Mitteilung
durch den Knopf im Ohr