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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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ein. In schlafendem Zustand wurden
sie von Brest über Baranawitschy und Minsk zum Grenzübergang befördert, der
genau auf der Mitte zwischen der weißrussischen Stadt Orscha und dem russischen
Waldgebiet lag, das unter dem berüchtigten Namen Katyn bekanntgeworden war.
     
    Dort
standen sie nun in der Morgendämmerung.
     
    Die Stille
ließ Don erwachen und die Füße auf den weichen Teppich des Schlafwagenabteils
hinunterschwingen. Hinter ihm lag Eva noch schlummernd da, den einen Arm über
die warme Stelle im Bett ausgestreckt, auf dem sein Körper eben noch gelegen
hatte. Er reckte sich mit einem leichten Unwohlsein nach der holprigen Fahrt
und schlich auf Strümpfen in den Salon hinüber, wo er ein völliges
Durcheinander erwartete.
    Doch es
sah besser aus, als er zu hoffen gewagt hatte. Nur einer der Bilderrahmen mit
den indischen Motiven war heruntergefallen und zersplittert, und ein paar
Teller waren durch die Stöße an den Rändern angeschlagen.
    Er begann
die auf dem Boden liegenden Taschenbücher wieder einzusammeln, und als er alles
einigermaßen in Ordnung gebracht hatte, sank er in einen der Sessel im Salon
und sammelte Kraft, um sich einen Becher Morgentee zu kochen.
    Auf dem
Tisch lag noch die Eisenbahnkarte, auf der sie zu Beginn der Fahrt von Berlin
aus versucht hatten zu berechnen, wo sie sich überhaupt befanden. Die einzigen
Dinge, an die sie sich diesbezüglich halten konnten, waren der Fahrplan, den
Hex übers Internet geschickt hatte, eine Uhr und ein ziemlich stumpfer Bleistift.
Dennoch schienen die Anmerkungen innerhalb Deutschlands mit großem
Selbstvertrauen niedergeschrieben zu sein.
    Ein paar
Meilen vor Warschau waren bereits die ersten durchgestrichenen Zeiten zu
sehen, und danach war die Reise immer unplanmäßiger und recht schleppend
vorangegangen. An einem verlassenen Ort in den Buchenwäldern im südöstlichen
Polen befand sich eine letzte resignierende Angabe, die aus einer langen Reihe
nichtssagender Fragezeichen bestand.
    Don sah
auf die Uhr und stellte fest, dass es gerade mal Viertel vor vier Uhr morgens
war. Er versuchte auszurechnen, wie weit sie bis zu diesem Zeitpunkt gekommen
waren. Unsicher bewegte sich die Bleistiftspitze in Richtung des Dnjepr an der
Grenze zu Russland, doch in dem Moment, da er ein Kreuz eintragen wollte,
hörte er ein heftiges Klopfen draußen an der Schiebetür des Güterwaggons. Nach
einer kurzen Stille wiederholte sich das Klopfen etwas eindringlicher, als
erwartete derjenige, der dort draußen stand, tatsächlich, dass jemand kommen
und öffnen würde.
    Don saß
wie versteinert mit der Bleistiftspitze auf das dunkelblaue Band des Dnjepr
gedrückt da.
    Dann hörte
er schnelle Schritte aus Richtung der Masonitpassage und erblickte Eva in der
Abteiltür, verschlafen und mit rot geränderten Augen. Sie sah aus, als wollte
sie lautlos eine Frage formulieren, als es erneut klopfte, und jemand an der
Schiebetür zog und sich am Schloss zu schaffen machte.
    Don gelang
es, den Stift loszulassen und seinen Körper aus der Muskelstarre zu befreien,
in die die Panik ihn unverzüglich versetzt hatte. Als er auf die Füße kam,
erschien es ihm, als ob die Wände des Salons im Rhythmus mit dem Hämmern und
den schabenden Geräuschen, die von draußen hereindrangen, auf ihn niedersanken.
    Kein
Ausweg, aber dennoch schien Eva immer noch Hoffnung zu haben:
    »Die
äußere Geheimwand ist doch geschlossen, oder?«, flüsterte sie. »Die Platten
können doch wohl nicht auseinandergerutscht sein?«
    Er
signalisierte ihr ein: Ich weiß es nicht.
    »Soll ich
nachsehen?«, versuchte es Eva erneut. »Die Wand kann doch auch von innen
verschlossen werden, nicht wahr? Vielleicht handelt es sich nur um eine
Routinekontrolle, und sie begnügen sich mit einem kurzen Blick?«
    Don konnte
nicht antworten, denn nun vernahm man eine zischende Stimme außerhalb der
Schiebetür, die verwaschen russisch sprach:
    »OTKpoiiTe flBepb!«
    »Wir
können nur ...«, begann Don, bevor ihn die Stimme unterbrach: »Bbi 3necb?«
    Don
schluckte ein paarmal, und dann begannen sich seine Beine endlich zu bewegen.
Doch er wurde von Eva aufgehalten, die wie eine menschliche Sperre vor der
Abteiltür stand.
    »Gehen Sie
zur Seite. Wir müssen öffnen.«
    »3 h , Bbi 3 ecb?«, fragte die
Stimme.
    Doch die
Rechtsanwältin schien nicht aufgeben zu wollen. Sie klammerte sich mit Fingerknöcheln,
die sich langsam weiß färbten, am Türrahmen fest.
    Mit
sanfter Gewalt löste er Evas Griff und schob sie

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