Wallentin, Jan
Wangen zu schmalen
Streifen gefroren. Doch in dem Moment, als er sich abstoßen und ins Meer
hinunterstürzen wollte, hielt ihn ein Geräusch zurück. Don drehte sich um und
blickte direkt in die Scheinwerfer des Schiffs.
Agusto Lytton
Die Hände
immer noch um die Reling geklammert, musste Don blinzeln, um etwas erkennen zu
können. Der alte Mann hinter ihm wurde von den starken Lampen angestrahlt, die
wie eine Perlenkette entlang des mit Eis bedeckten Dachs verliefen.
Agusto Lytton
trug nicht die obligatorische Expeditionsjacke, sondern eine Art Pelz. Im
Gegenlicht, das an Deck des Schiffs herrschte, konnte Don lediglich das Profil
seiner Habichtsnase ausmachen.
»Ein
schmerzloser Tod, Senor Goldstein«, sagte Agusto Lytton und nickte in Richtung
der aufgefrästen Fahrrinne des Eisbrechers. »Die Kälte lässt Ihr Bewusstsein in
weniger als dreißig Sekunden erlöschen, und dann dauert es eine weitere
Stunde, bis Sie in eine Tiefe von viertausend Metern zur letzten Ruhe
hinabgesunken sind.«
Dons Augen
gewöhnten sich jetzt langsam an das Licht, und er versuchte seine Zunge zu
bewegen, um eine Antwort hervorzubringen.
»Und
dennoch zögern Sie?«, fuhr Lytton fort und kam einen Schritt näher.
Don hatte
seinen Kopf inzwischen wieder so weit unter Kontrolle, dass er bejahend nicken
konnte.
»Sie
möchten also, dass wir ... umkehren? Wenn ich es dort drinnen im Speisesaal
richtig verstanden habe? Sie sagten, dass ...«
Don geriet
ins Wanken, doch in dem Moment, da er zu fallen drohte, hielt Lytton ihn fest.
Fingerspitzen, die wie Krallen anmuteten, legten sich in einem harten Griff um
seinen Arm und hielten ihn aufrecht.
Als ihm
die Beine wieder gehorchten, suchte Don mit zitternden Fingern in seiner
Schultertasche, ohne genau zu wissen wonach. Aus diesem Rausch würde ihn kein
Beruhigungsmittel herausholen können. Weder Ritalin noch Modafinil oder ...
»Benötigen
Sie Hilfe, Senor Goldstein?«, fragte Lytton, der seinen Arm immer noch
festhielt.
Don
versuchte ein Lächeln hervorzubringen, doch es reichte nur zu einem erstarrten
Grinsen. Jetzt hatte er die Kautabletten mit Amphetamin gefunden, von denen er
eine Handvoll nahm und sich in den Mund warf. Er presste die Kieferknochen
aufeinander und begann wie ein Wiederkäuer, die trockenen Amphetaminderivate
zwischen den Zähnen zu zermahlen, die ihn hoffentlich aufmuntern würden.
»Sie
helfen sich selbst, wie ich sehe«, stellte Lytton fest. »Aber mir scheint, Sie
frieren. Vielleicht möchten Sie sich etwas aufwärmen?«
Don
unternahm einen Versuch, sich aus dem Griff des Südamerikaners zu befreien,
doch er ließ nicht locker.
Schließlich
trottete er resigniert mit, als Lytton ihn von der Reling wegführte. Sie gingen
auf die vereiste Stiege zu, die hinauf zum Oberdeck der Jamal führte.
»Aus der
Dunkelheit ins Licht«, hörte Don Lytton murmeln, als sie in die Wärme des
Schiffsinneren gelangt waren.
Ein Stück
entfernt im schwach erleuchteten Korridor zeichnete sich die Doppeltür der
Kapitänssuite ab. Lytton holte einen kleinen Schlüssel aus der Tasche seines
Pelzmantels hervor. Dann steckte er ihn mit einer selbstverständlichen Bewegung
ins Schloss.
Kapitän
Sergej Nikolajewitsch befand sich offenbar noch mit David Bailey in der Bar,
denn in der geräumigen Suite vor ihnen war alles dunkel und still. Als Lytton
Licht machte, sah Don, dass der Eisbrecher nicht nur Kunststofftapeten und
nachlässig gereinigte Kabinen zu bieten hatte. Denn hier eröffnete sich ihm ein
Salon, der einem Admiral aus dem neunzehnten Jahrhundert alle Ehre gemacht
hätte.
Wandpaneele
aus poliertem Edelholz und Möbel mit goldenen Verzierungen. Der Boden war mit
einem geräuschdämpfenden Teppich ausgelegt, der dafür sorgte, dass man das
Krachen der unter der Jamal zerberstenden
Eisschollen kaum erahnte. Es gab einen großen Barschrank mit Türen aus
Kristallglas, und durch die lange Fensterfront zum Vordeck konnte Don das
Lichtspiel der Scheinwerfer beobachten.
An der
hinteren Wand neben den Fenstern stand ein geöffneter Sekretär, der
offensichtlich als Schreibtisch genutzt wurde. Auf ihm lagen Stapel von
Papieren ausgebreitet, Manuskripte in altmodischen Ordnern sowie eine
altertümliche Lupe. Doch Don hatte eigentlich nur Augen für das einladende
Ledersofa, das in der Mitte des Salons stand.
Er wankte
darauf zu, sank nieder und lehnte sich in halbliegender Position zurück, damit
endlich seine Beine ausruhen konnten. Seine Füße legte er auf
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