Wallentin, Jan

den niedrigen
Glastisch, der neben dem Sofa stand. Bewegte sie ein kleines Stück zur Seite,
um die große Landkarte der Arktis nicht zu beschmutzen, die ausgebreitet auf
der Glasplatte des Tisches lag.
    »Senor
Goldstein!«, ermahnte ihn Lytton von hinten. »Ich habe Sie nicht in meine Suite
mitgenommen, damit Sie sich hinlegen und schlafen.«
    Er hörte
Geschirrklappern, und dann wurde eine Flüssigkeit ausgeschenkt.
    Der alte
Mann machte einen kleinen Bogen um Dons Stiefel herum und stellte dann die
dampfende Teetasse auf dem Tisch ab.
    Der Duft
nach Mohn und Zimt erinnerte Don an Eberlein und die Bibliothek in der Villa
Lindarne.
    Er setzte
sich auf und schaute zu Lytton hinüber, der sich in den Sessel ihm gegenüber
gesetzt hatte.
    »Sie
brauchen jetzt etwas Warmes, Senor Goldstein«, meinte Lytton. »Bitte, trinken
Sie.«
    »Sie
können mich ... Samuel nennen«, sagte Don. »Agusto Lytton, Lytton Enterprises.«
Don nickte und streckte zögernd die Hand zum Gruß aus. »Also, Senor Goldstein
...«
    Lytton
öffnete ein kleines Silberetui. Nahm einen Zigarillo hervor, den er mit seiner
knochigen Hand anzündete.
    »Warum
wollen Sie den Nordpol nicht sehen? Es ist ein besonderer Ort, das kann ich
Ihnen versichern. Machen Sie sich Sorgen darüber, dass die Jamal es nicht
schafft, sich durch all diese Eisschichten zu pflügen?«
    Don trank
einen Schluck Tee und spürte, wie er langsam aber sicher wacher wurde. Lytton
nahm in seinem Sessel immer deutlichere Konturen an. Wässrige, extrem
tiefliegende Augen in einem Schädel, der mit papierdünner Haut überzogen war.
Don mutmaßte, dass man sie nur leicht anzuritzen brauchte, um das Stirnbein
bloßzulegen. Dann schaute er etwas tiefer auf seine schmalen Lippen und den
spärlichen Schnurrbart. Er wippte auf und ab, als Lytton mit seiner weichen
Stimme erneut zu sprechen begann:
    »Ich habe
Sie gefragt, ob Sie sich Sorgen machen.«
    »Keinesfalls«,
antwortete Don. »Das ist nicht der Punkt...«
    Er nahm
noch einen wärmenden Schluck.
    »Wenn ich
Kapitän Nikolajewitsch richtig verstanden habe, haben Sie Ihre Reise ebenfalls
erst spät gebucht?«, fragte Lytton und nahm einen tiefen Zug von seinem
Zigarillo.
    »Ja, es
war eher ein Zufall, kann man sagen«, meinte Don.
    »Ich verstehe«,
entgegnete Lytton, »aber ich glaube nicht, dass Sie es bereuen werden.«
    Er formte
den Rauch mit seinen Lippen zu einem Ring.
    »Kennen
Sie den Kapitän persönlich?«, fragte Don.
    »In
keinster Weise, aber ich kenne seine Bedürfnisse«, erklärte Lytton. »Besser
gesagt, das fortdauernde Bedürfnis der Russen nach Geld. Wir haben, was die
Suite betrifft, eine kleine geschäftliche Übereinkunft getroffen, der Kapitän
und ich. In der Kabine, die sie mir zugewiesen hatten, habe ich mich nicht
besonders wohlgefühlt. Meine Männer sind ebenfalls unzufrieden, und ich weiß
nicht, wie es Ihnen in dieser Hinsicht geht?«
    »Nein, sie
ist ... vielleicht etwas eng«, gab Don zu.
    »Ja, nicht
wahr?«, entgegnete Lytton. »Hier ist es weitaus besser. Und nicht zuletzt
sauberer, und die Aussicht ist, wie Sie sehen, ziemlich spektakulär.«
    Don
schaute auf das Eismeer hinaus und wusste nicht so recht, was er sagen sollte.
Doch es schien, als erhoffte sich Lytton eine nächtliche Konversation,
woraufhin er einen mühseligen Versuch unternahm:
    »Lytton
Enterprises, sagten Sie ... Klingt nicht gerade Südamerikanisch?«
    »Nein, es
ist schon seit vielen Jahren ein internationales Unternehmen.«
    »Und was
machen ...«
    »Import-Export
kann man sagen«, entgegnete Lytton. »Hauptsächlich Export, ehrlich gesagt.«
    »Was
exportieren Sie denn?«
    »Oh, das
ist eine schmutzige Branche, von der Sie mit Sicherheit nichts wissen wollen.
Glauben Sie mir, Senor Goldstein.«
     
    Es kam
nicht nur vom Tee, dachte Don. Das aufgekratzte Gefühl, das sich in ihm
ausbreitete, trug definitiv Spuren des Dexamphetamins. Der Alkoholrausch hatte
sich wie ein Nebel gelichtet, und der alte Mann im Sessel nahm jetzt übermäßig
scharfe Konturen an.
    Don
schaute von Lytton hinunter auf den Glastisch und das große Kartenblatt der
arktischen Eiskappe, die auf ihm ausgebreitet lag. Die Route des Eisbrechers
verlief in einer roten Linie hinauf zum Nordpol. Auf Höhe der aktuellen
Position der Jamal lag eine russische Silbermünze.
    »Nur noch
sieben Breitengrade«, sagte Lytton. »In ein paar Tagen können wir am Nordpol
miteinander anstoßen.«
    »Senor
Lytton«, begann Don vorsichtig, ohne selber recht zu wissen,