Wallentin, Jan
Der Strahl hatte sich ein ganzes Stück nach Süden verlagert. Sie waren
bereits an der Öffnung vorbeigefahren.
Don
hämmerte gegen Evas Tür, doch obwohl es spät war, öffnete sie nicht. Er ging
los, um sie zu suchen und erklomm wankenden Schrittes die steilen Treppen der Jamal.
Schob die
Türen zum Achterdeck auf und kam auf der Helikopterplattform heraus. Unterhalb
der stillstehenden Rotorblätter atmete Don mehrmals tief ein, um den Alkohol
aus seinem Körper zu vertreiben.
Die
frostige Luft des Eismeers biss sich in seinen Lungen fest und machte es ihm
nahezu unmöglich zu atmen. Er stand hustend da und hatte das Gefühl zu fallen.
Zugleich empfand er es als reine Zeitverschwendung, ein paar Meilen von der
Öffnung entfernt einfach nur dazustehen, ohne wenigstens einen Versuch
unternommen zu haben, die Russen zu einer Kursänderung des Eisbrechers zu
bewegen.
Im
Speisesaal saßen die südamerikanischen Männer immer noch an ihrem langen Tisch,
und Don spürte, wie Agusto Lytton ihn beobachtete.
An der
kleinen Bar standen David Bailey und der graubärtige Kapitän der Jamal, Sergej
Nikolajewitsch. Als er in ihre Richtung getorkelt kam, wandten sich die beiden
Don zu.
»Mr.
Goldstein«, sagte David Bailey und schaute ihn mit glasigem Blick an. »So spät
noch auf, bedrückt Sie irgendetwas?«
Vor Bailey
auf dem Bartresen stand ein neonfarbener Drink. Der russische Kapitän trank
Wodka aus einem Bierglas.
»Ja, so
könnte man es sagen«, murmelte Don.
Doch er
wusste nicht recht, wie er anfangen sollte. Während er schwieg, goss der
Kapitän ein weiteres Glas randvoll mit Wodka ein, das er Don hinüberschob.
»Die Sache
ist die, Mr. Bailey«, begann Don mit lallender Zunge ... Bailey nickte und
wartete darauf, dass er fortfahren würde.
»Die Sache
ist die, dass der Eisbrecher sofort umkehren muss. Ich habe die neuen
Koordinaten hier in der Tasche, schauen Sie ...«
Er wühlte
in der Seitentasche seiner Expeditionsjacke und fand den zusammengeknüllten
Zettel. Knallte ihn vor Bailey auf den Tresen und nahm einen kräftigen Schluck
aus seinem Glas.
»Mr.
Goldstein«, lächelte Bailey, »ich glaube eher, Sie benötigen ein bisschen
Schlaf.«
»Keinesfalls«,
entgegnete Don. »Im Gegenteil, es ist sehr wichtig, dass ich gerade jetzt wach
bin.«
Er deutete
auf die hingekritzelte Positionsangabe auf dem Papier. Der Kapitän grinste
hinter seinem struppigen Bart. Don fragte sich, ob Nikolajewitsch Englisch
verstand, traute sich jedoch nicht, ihn das zu fragen. Stattdessen fuhr er, an
Bailey gewandt, fort:
»Wir
müssen also unmittelbar umkehren, verstehen Sie? Es wird uns nur ein paar
Stunden Verspätung kosten.«
»Und was
ist an dieser Stelle so ungeheuer interessant?«, fragte Bailey und zeigte dem
Kapitän mit einem Lächeln den Zettel.
»Dort ist
...«
Don wusste
nicht, wie er sich ausdrücken sollte, und er spürte, wie seine Knie nachzugeben
begannen.
»Wie ich
schon sagte«, meinte David Bailey, »Sie werden gut daran tun, sich jetzt
schlafen zu legen. Morgen Abend nähern wir uns dem Nordpol, und dann wollen Sie
doch ausgeruht sein, nicht wahr? Es ist nichts Ungewöhnliches daran, wenn die
erste Begegnung mit dem Eis an den Nerven zehrt.«
»Es gibt
einen Tunnel, der geradewegs in die Unterwelt führt«, brachte Don hervor, »und
wir lassen ihn gerade hinter uns.«
»Ich
glaube Ihnen ja«, redete Bailey beruhigend auf ihn ein. »Aber wie Sie verstehen
werden, ist der Kapitän derjenige, der den Kurs bestimmt. Solange Sie sich an
Bord befinden, müssen Sie sich an seine Anweisungen halten. So einfach ist
das.«
»Aber wir
müssen umkehren ...«
Bailey
schob Dons Wodkaglas zur Seite.
»Mr.
Goldstein, jetzt ist es genug«, sagte der Reiseleiter autoritär.
Don drehte
sich zögernd um und begegnete Agusto Lyttons Blick. Als er den Bartresen
verließ und von dannen torkelte, hörte er, wie ihm der Kapitän hinterherrief:
»Mr.
Goldstein! I wish you a good night!«
Als er
daraufhin laut loslachte, ging Don bereits durch die Türen des Speisesaals nach
draußen. Seine Lungen sehnten sich schmerzlich nach frischer Luft.
Auf dem
Achterdeck wehte eine steife Brise und blies einen Teil seines Rausches fort.
Er wurde sich mit einem Mal bewusst, dass er gerade eben aufgegeben hatte. Er
ergriff die Reling, bis seine Fingerknöchel weiß wurden. A
shvartsen soj, dachte Don, so also sah das jämmerliche Ende seiner
Reise aus.
Dann
füllten sich seine Augen langsam mit Tränen, die an den
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