Wallentin, Jan
Weise
konnte man auch einen Teil der Ressourcen einsetzen, die der staatlichen
Polizei nicht zur Verfügung standen.
Das, was
letztlich den Erfolg möglich gemacht hatte, waren die Ergebnisse der
kontinuierlichen Radarüberwachung, die ihm der deutsche Bundesnachrichtendienst
übermittelt hatte. Die Überwachung hatte allen Fahrzeugen gegolten, die den
siebenundsiebzigsten Breitengrad in Richtung Norden passierten.
Die
Passagierlisten waren sorgfältig durchsucht worden, und im Zweifelsfall hatte
man Pässe zu Hilfe genommen. Und jetzt war er ihm also in die Falle gegangen -
der russische Eisbrecher, der den letzten Informationen zufolge Jamal heißen
sollte.
Der dritte Tag
Der dritte
Tag auf dem Eisbrecher hatte genauso angefangen wie die beiden Tage zuvor. Als
Don erwachte, nahm er seine Schlafbrille ab und schluckte vier Milligramm
Haldol mit Hilfe eines großen Glas Wodka.
Die Kombination
von Wodka und Beruhigungsmitteln hatte gegen seine Seekrankheit Wunder
gewirkt, und in einem Zustand wohliger Trunkenheit ging auch die Zeit viel
schneller vorbei.
In der
Nacht hatte er nicht mehr als ein paar Stunden schlafen können, trotz der kleinen
Stöpsel aus zusammengeknülltem Toilettenpapier, die er sich in die Ohren
gesteckt hatte, um die lästige Unterhaltungsmusik auszublenden, die man nicht
abstellen konnte. Ein anderes Problem bestand darin, dass die Wände so dünn
waren, dass er die flüsternden Stimmen der Südamerikaner hören konnte. Zwei von
Lyttons Männern wohnten in der Kabine nebenan, und ihre Worte hatten sich wie
ein leises Rauschen in seine Träume gewebt.
Don zog
den Bettvorhang zur Seite und ging zum Bullauge der Kabine, um hinauszuschauen.
Durch die Schmutzränder konnte er sehen, dass sich das Schiff dem Packeis
näherte. Es bahnte sich einen Weg zwischen abgebrochenen Eisbergen hindurch,
die im Licht der Scheinwerfer der Jamal schimmerten.
Ansonsten sah alles aus wie immer: eine blauschwarze Meerwüste im Schneetreiben.
Er zog
seinen Samtanzug und die rote Expeditionsjacke an. Dann öffnete er die
Kabinentür und ging hinaus. Im Korridor war die Beleuchtung so schwach, dass
ihn die Rentnergruppe, die ihm entgegenkam, an Gespenster erinnerte. Er kam
sich vor wie in einem schwimmenden Sarg.
Er klopfte
an der Tür der Rechtsanwältin, doch wie schon zuvor öffnete sie nicht. Während
der letzten Tage hatte Eva sich zurückgezogen, und er wusste nicht genau, wie
sie sich die Zeit an Bord vertrieb. Wenn sie sich unterhielten, wirkte sie
irgendwie verstimmt, doch über das, was sie belastete, wollte sie nicht
sprechen.
Draußen
auf dem Promenadendeck wehte es stark. Der Polarwind blies geradewegs durch den
Samtstoff seiner Hosen hindurch. Don zog den Reißverschluss der Jacke bis zum
Hals hoch und blickte in der Dunkelheit auf die unendlich hohe Wand des
Packeises. Er hatte immer angenommen, dass Eis weiß oder durchsichtig sei, doch
im Licht der Jamal änderte es seine Farbe wie ein
Regenbogen, vom tiefsten Violett bis ins Azurblaue und Goldene.
Die Russen
schienen nach einem Riss Ausschau zu halten, in den die Jetstreams eine Öffnung
sprengen konnten, damit das Schiff weiter in Richtung Norden stampfen könnte.
Etwas entfernt stand ein älteres Paar und starrte schweigend auf das Eismassiv.
Don konnte sehen, wie sie einander fest an den Händen hielten.
Schließlich
wurde ihm so kalt, dass sein Körper taub wurde, und er sich auf steifgefrorenen
Beinen wieder zurück ins Innere des Schiffs begab. Zuvor hatte er sich oft in
die düstere Bibliothek gesetzt, die in einer Ecke auf dem dritten Deck lag.
Und so tat er es auch an diesem monoton ablaufenden Tag.
Dort nahm
er den Brief zur Hand, den er im Grab von Malraux gefunden hatte, und las
erneut die kurzen norwegischen Zeilen. Doch wer dieser Olaf war, oder was er
mit Niflheim gemeint hatte, konnte Don immer noch nicht beantworten.
Gegen
Mittag schlich er sich wie eine Ratte zurück durch die Korridore. In seiner
Kabine nahm er ein weiteres Mal Haldol zusammen mit Wodka ein.
Don hatte
den Inhalt des Glases gerade heruntergeschluckt, als er hörte, wie es klopfte.
In dem Moment, als er der Rechtsanwältin öffnete, erbebte das gesamte Schiff.
Dann begann der Boden unter ihnen zu vibrieren. Ohne ein Wort sagen zu müssen,
begriffen sie beide, dass die Jamal gerade
dabei war, die Wand aus Eis zu durchbrechen.
Don
stellte den Bunsenbrenner, den er unter dem Bett versteckt hatte, auf den Tisch
vor dem Sofa. Der Brenner
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