Wallentin, Jan
Wundbrand begünstigen.
Diese
Analyse erwies sich als richtig.
Fünf der
Frauen in Bubes Gruppe hatten rasch einen Wundbrand entwickelt, der von den
Beinen bis zum Rumpf hinaufgewandert war. Und obwohl sie noch jung waren,
hatten ihre Körper nach nur vierundzwanzig Stunden aufgegeben.
Eine von
ihnen hatte auf einer Pritsche direkt neben Bube gelegen und sich vor
Schmerzen gewunden. Großmutter hatte erzählt, wie die Unterschenkel der Frau
innerhalb von ein paar Stunden zu Stämmen angeschwollen waren, zum Bersten mit
blutigem Eiter angefüllt. Während der Nacht waren die Blutgefäße dann völlig
erodiert, die Haut war abgefallen, und der Wundbrand hatte sich bis hoch zu den
Oberschenkeln und im Unterleib der Frau ausgebreitet.
Selbst
wenn einer der SS-Ärzte sich wachgehalten hätte, wäre keine Zeit mehr zum
Amputieren geblieben. Am folgenden Morgen nahm man die letzten medizinischen
Eintragungen vor und trug die Frau schließlich aus dem Saal, um sie zu
erschießen. Für Bube war es a shrekleche zach, so
entsetzlich, dass sie nicht einmal protestiert hatte. Sie verspürte nur eine
unendliche Erleichterung darüber, den widerlichen Gestank der Frau los zu sein.
Im
Spätherbst 1942 waren die SS-Ärzte der Versuche mit Sulfonamid und Wundbrand
überdrüssig geworden. Stattdessen hatte man beschlossen, zu Experimenten mit
der Ausrichtung auf plastische Chirurgie überzugehen. Das Ziel bestand darin,
neue Methoden zu entwickeln, die man einsetzen wollte, um die deutschen
Soldaten nach Kriegsende optisch wiederherzustellen.
Es gab
mehrere unterschiedliche Vorgehensweisen: von der Entfernung von Muskel- und
Skelettteilen mit nachfolgendem Versuch der Transplantation bis hin zu
langwierigen Untersuchungen bezüglich der Frage, wie schnell man einen
zerschlagenen Knochen oder einen abgetrennten Nerv wieder heilen konnte. Bube
und die anderen überlebenden Frauen des Wundbrandexperiments waren auch hier
von Nutzen.
Bei
Großmutter hatten die deutschen Arzte Streifen der Wadenmuskeln bis zur
Knochenhaut entfernt, um zu untersuchen, ob sich das Gewebe auf natürliche Weise
wieder regenerieren würde. Das Ergebnis war eine Enttäuschung.
Dann
hatten sie ihr das Schienbein an vier Stellen gebrochen, um herauszufinden, wie
schnell ihre Knochen wieder heilen würden. Die Krankenschwestern waren beim
Eingipsen sorgfältig gewesen. Als mehrere Wochen vergangen und die
Knochenstücke fast zusammengewachsen waren, wurde der Gips geöffnet und das
Ergebnis notiert. Danach hatte man die verheilenden Knochen erneut gebrochen,
damit das Experiment fortgesetzt werden konnte.
Anfänglich
hatte Bube niedrige Dosen Morphin bekommen, doch zum Ende hin, als die Zustände
im Lager von Ravensbrück immer chaotischer wurden, vergaß man oftmals die
Betäubung. Aber sie hatte dennoch Glück gehabt, a sach
mazel, das hatte sie immer betont.
Einer der
Frauen aus ihrer Gruppe hatte man in einer Art Transplantationsexperiment das
eine Schulterblatt abgetrennt, woraufhin sie ihren Arm nie wieder über
Schulterhöhe anheben konnte. Anderen waren ganze Körperteile abgenommen worden:
ein vollständig funktionierender Arm mit Schulter und Schlüsselbein, ein
Oberschenkel, der vom Beckenkamm abwärts abgetrennt wurde. Einer Polin, das
hatte Bube mit eigenen Augen gesehen, waren beide Wangenknochen wegoperiert
worden, so dass ihr Gesicht völlig einsank.
Sämtliche
Versuche waren medizinisch betrachtet völlig ohne Wert gewesen, wie man später
während der Nürnberger Prozesse feststellte.
Im
Frühling des letzten Kriegsjahres kamen dann die rettenden Weißen Busse der
Bernadotte-Organisation. Bube war eine von denen, deren Rücken mit einem
großen weißen Kreidekreuz versehen worden war. Sie wurde nach Padborg gebracht
und von dort weiter bis zum Öresund. Am 26. April 1945 trug man sie auf einer
Trage von der Heisingborgfähre herunter. Damals war sie achtundzwanzig Jahre alt.
Es dauerte
drei Jahre, bis sie wieder alleine laufen konnte, doch die Aushöhlungen in
ihren Beinen blieben für immer. Entlang beider Waden verliefen die knotigen
Narben. Don hatte sie als Achtjähriger mit seinen Fingern befühlen dürfen, und
er fand, dass sie sich wie die Zweige eines absterbenden Baumes anfühlten.
Jeden
Sommer wiederholte sich das Szenario, während die Äpfel im Garten verfaulten.
Sie erzählte in einem undeutlichen Kauderwelsch aus Jiddisch und Schwedisch,
und er hörte zu, denn er hatte seine Großmutter immer geliebt. Ihn hatte
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