Wallentin, Jan
oberhalb der Nasenwurzel
des Mannes wie ein drittes Auge in seinen Schädel geschlagen worden war.
Der
Asenmord
Es war
eine ziemlich schweigsame Morgenbesprechung am langen Konferenztisch des
Dalakurir. Man war die Tagesliste im Hinblick auf mögliche Folgeartikel
durchgegangen und noch wichtiger: wer von ihnen den Job machen sollte. Von dem
Irrtum in Bezug auf das Geschlecht der Leiche war keine Rede mehr, das Tuscheln
der Gerüchteküche war zusammen mit dem Gemunkel, dass der Praktikant aus
Stockholm die polizeilichen Ermittlungen wahrscheinlich auch weiterhin
untergraben würde, in Richtung der Kaffeeautomaten des Zeitungshauses
weitergezogen.
Doch es
spielte eigentlich keine Rolle, wer in Zukunft die Berichterstattung
übernehmen würde, denn nun hatten die Abendzeitungen ihre Teams eingeflogen, und
der Dalakurir würde bald ins Hintertreffen geraten.
Wie sich
herausstellte, wohnte der Taucher Erik Hall in einem Sommerhaus ein Stück
außerhalb von Falun. Von der Straße aus konnte der Praktikant die
Sprossenfenster der Glasveranda erkennen. Um näher heranzukommen, würde er
allerdings gezwungen sein, einen brusthohen Holzzaun zu überwinden. Doch
unmittelbar hinter dem Gartentor stand wie ein Wächter eine wieselartige Figur
in brauner Lederjacke.
Wie es
aussah, war das Wiesel gerade damit beschäftigt, mit einem schwarzen Filzstift
etwas in Druckbuchstaben auf ein Stück Wellpappe zu schreiben: »Achtung!
Privatgelände!« Dann befestigte es das Pappstück am Tor und lief wieder zurück
in Richtung Veranda, wo sich eine Tür öffnete und hinter seinem schmalen Rücken
wieder schloss.
Als die
übrigen Medienleute den Weg zu Halls Sommerhaus gefunden hatten, war es
bereits zu spät. Der Taucher ging weder ans Telefon noch ließ er irgendeinen
weiteren Journalisten herein.
Stattdessen
mussten sie vor dem Holzzaun sitzen und eine ganze Weile ausharren, bis das
Wiesel schließlich mit seinem Fotografen im Schlepptau durch die Glasveranda
wieder herausgehuscht kam. Bei dem Versuch, ein Bild vom Schatten des Tauchers
hinter den Fenstern zu schießen, prasselten die Blitzlichter der Kameras wie
ein Platzregen los, doch keiner hatte Glück.
Auf dem
Weg zum Tor winkte das Wiesel seinen Konkurrenten fröhlich zu und lief in
Richtung seines Wagens und zischte in dem Moment, als es den Praktikanten
passierte, das Wort »Extraausgabe«.
Die frisch
gedruckten Stapel mit Zeitungen erschienen noch am selben Tag gegen vier Uhr
nachmittags. Das exklusive Interview mit Erik Hall und die Berichterstattung
über den Mord reichten für die Schlagzeile auf der Titelseite, für Seite eins
und die Seiten sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn,
fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn sowie die Mittelseite.
Die erste
Seite war nahezu pechschwarz vor lauter Druckerschwärze: eine dunkle
Fotografie, die in grober Auflösung unregelmäßige Kreidestriche in der Tiefe
eines Grubenschachts abbildete. Sicherheitshalber hatte man das abgebildete
Zitat noch einmal im Klartext geschrieben, sowohl auf Altisländisch als auch in
schwedischer Übersetzung:
UM
RAGNARÖKKR
Sal veit
ek standa sölu fjarri Näströndu ä, norör horfa dyrr Falla eitrdropar inn of
ljöra
Sä er undinn
salr orma hryggjum Skulu tar vaöa Jsunga strauma Menn meinsvara ok morövargar
AUS
RAGNARÖK
Einen Saal
sah sie, der Sonne fern,
in
Nastrand, die Türen sind nordwärts gekehrt.
Gifttropfen
fallen durch die Fenster nieder;
aus
Schlangenrücken ist der Saal gewunden.
Sie sah im
starrenden Strome waten
Meuchelmörder
und Meineidige.
Die Rubrik
auf Seite sechs lautete:
WILLKOMMEN IN DER HÖLLE
Auf Seite
sieben:
NIFLHEIM - DAS REICH DER HEL
Seite
acht:
IN EINEM HEIDNISCHEN RITUAL GEOPFERT?
Neun:
NÄSTRÖNDU - DER SAAL DER MÖRDER
Und so
weiter, und dann eine pathetische Einleitung des Hauptartikels:
FALUN:
Sein Leben
fand am Strand der Toten ein Ende. Der Schlag zwischen die Augen ist
offensichtlich mit brutaler Kraft und Präzision ausgeführt worden. Drei Finger
der rechten Hand sind abgeschnitten.
An der
nördlichen Wand der Krypta hat der Mörder mit weißer Kreide das Eingangstor
nach Niflheim gemalt - das Reich der nordischen Totengöttin Hei. Die Hölle.
Die Unterwelt. Die Polizei hat nun folgendes Rätsel zu lösen: Handelte es sich
um ein Menschenopfer?
Lesen Sie
ein exklusives Interview mit dem Taucher Erik Hall, 38, das die Wahrheit
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