Wallentin, Jan
Erinnerung lindern
konnten. Die zumindest zeitweise die Erzählungen zurückdrängten, die seit dem
Alter von acht Jahren ohne Unterlass an ihm nagten.
Anfänglich
hatte Don lediglich geringe Dosen an Schlafmitteln und leichte
Beruhigungsmittel ausprobiert, doch nach ein paar Jahren war er zu
Benzodiazepinen und Morphin übergegangen. Kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag
war er bereits so abhängig, dass man ihn aus der psychiatrischen Abteilung des
Karolinska Krankenhauses rausschmiss. Dass es ihm dann zu Beginn der 1990er
Jahre gelang, eine Anstellung im Krankenhaus in Karlskrona zu bekommen, hing
hauptsächlich mit dem Ärztemangel und der Tatsache zusammen, dass man zu
nachlässig war, um seine Referenzen einzuholen. In diesem verschlafenen
Städtchen war er an einem bewölkten Tag im August auf die Braunhemden der
Nationalsozialistischen Front gestoßen.
Er hatte
zwar in der Lokalzeitung über die jungen Männer gelesen, die den Hitlergruß
nachahmten und nach einem starken Schweden schrien. Doch erst, als er oben vor
dem Apartmenthaus auf Galgamarken auf sie stieß, verlor er den Boden unter den
Füßen.
Die
Neonazis teilten lediglich Broschüren mit dem Symbol der goldenen Vasagarbe
aus, doch auf ihren flatternden Fahnen prangte das Hakenkreuz. Sie reckten die
Siegrune, das Eisenkreuz und den Deutschen Reichsadler dem mit Regenwolken
verhangenen Himmel von Blekinge entgegen. Und von einer der größten Banderolen
streckten sich die Tentakel der Schwarzen Sonne nach ihm aus. Lediglich ein
graphisches Symbol, nichts Besonderes, aber an dem Tag kam es ihm vor, als
würde ein Fallbeil auf ihn niedersausen.
Er war mit
abgeschlagenem Kopf im Gras in die Knie gegangen, das Herz in kindlichem
Schrecken zusammengekrampft. Dann stützte er sich nach vorne auf die
Fingerspitzen, wo er von einem Schmerz geschüttelt wurde, der seine Welt völlig
zusammenstürzen ließ.
Kupfervitriol
Der
Praktikant aus Stockholm starrte zu Boden, zog den Kopf so weit wie möglich
zwischen die hochgezogenen Schultern und nahm dann den Umweg über die
Toiletten, um nicht den Korridor der fest angestellten Reporter passieren zu
müssen.
Die
morgendliche Besprechung beim Dalakurir war eine einzige Qual gewesen. Einer
der ältesten Füchse in der Kriminalredaktion hatte den ersten Stein geworfen.
»Ich
schäme mich«, hatte er gesagt und den spärlichen Vierspalter des Praktikanten
hochgehalten.
Dann
hatten alle, die am Tisch versammelt waren, begonnen, auf ihm herumzuhacken,
außer dem Nachrichtenchef. Wo steckten die eigenen Ansätze und Ideen? Warum
hatte der Praktikant keine vernünftigen Berichterstatter bei der Polizei
aufgetan? Warum war er mit den Themen Neonazismus und Asenglauben nicht weitergekommen,
wo man heute doch bereits Tag vier schrieb? Und warum, warum, warum hatte er
kein Interview mit Erik Hall vorzuweisen?
Unmöglich?
Ach ja?
Heute Morgen hatte der Taucher doch bereits in einer Diskussionssendung auf dem Fernsehsofa gesessen und von all dem
berichtet, was geschehen war. So völlig unmöglich konnte es ja wohl nicht
gewesen sein, oder?
Der
Praktikant hatte dagesessen, auf seinen Kaffeebecher gestarrt und sich nicht
getraut, etwas zu entgegnen, aus Angst, seine Stimme würde versagen.
Schließlich hatte sich sogar die unter Raucherhusten leidende Kollegin von der
Familienseite angeschlossen und erklärt, wie peinlich es sei, dass ein
unerfahrener Praktikant mit der Aufgabe betraut wurde, die heißeste Story des
Landes zu bearbeiten, und dass sie in der Tat gehört hätte, dass selbst die
Gratiszeitungen in der Stockholmer U-Bahn mehr Informationen über den Asenmord
aufgetan hatten als er.
»Und sie
haben nicht mal einen eigenen Reporter hier vor
Ort in Falun«, hatte sie hinzugefügt.
Nachdem er
aus der morgendlichen Besprechung getrottet war, hatte er die Tür zu seinem
Raum hinter sich zugeschlagen, war in seinen Stuhl gesunken und fühlte sich
hundeelend. Um bald darauf einzusehen, dass es vermutlich an der Zeit war
aufzugeben.
Als er zum
Chef ging, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen, fand er lediglich einen vor
sich hin surrenden Computer, aufgeblätterte Morgenzeitungen und bereits Monate
alte Stapel mit Artikeln vor, die mit roten Korrekturen vollgekritzelt waren.
Es dauerte mehrere Minuten, bis er das schwache Klopfen am Fenster wahrnahm.
Draußen
auf dem Balkon stand der Nachrichtenchef und rauchte. Als er merkte, dass der
Praktikant ihn entdeckt hatte, hielt er einen kleinen
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