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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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sie mayn
nachesdik kind, meinen Schatz, meine Freude genannt, während die
Deutschen jener goylem, seelenlose Geschöpfe waren.
    Als sie
mit ihrer eigenen Geschichte fertig war, hatte sie ihm von den Massenhinrichtungen
in Lublin erzählt, oder den Vergasungen mit Kohlenmonoxid in Sobibor, von
Zyklon B in Treblinka und Auschwitz sowie den wahnwitzigen Experimenten in
Dachau, bei denen die Ärzte der SS Menschen am lebendigen Leibe das Hirn
seziert hatten, um festzustellen, ob man in ihrem Blut Sauerstoffblasen
ausmachen konnte.
    Jede von
Bubes Erzählungen hatte sich wie ein spitzer Glassplitter in Dons Erinnerung
gebohrt. Doch so sehr die Erzählungen ihn auch geprägt hatten, gehörten sie
noch nicht zu den erschreckendsten Erinnerungen aus Bubes 50er-Jahre-Haus.
    Im
Obergeschoss hatte er an einem Sommertag zufällig die Türen des Büfetts
geöffnet, in dem sich Großmutters heimliche Sammlung befand. Darin hatten
abgegriffene Etuis mit den Siegrunen, ein Dolch mit Wolfsangel und
Bronzemedaillons mit dem abgewinkelten Kreuz der Swastika gelegen. Sie hatte
vergilbte Porträts von Offizieren der Gestapo und der Wehrmacht gekauft und
besaß mehrere Kopien des Totenkopfrings der Schutzstaffel. Unter dem Gewühl des
Nazimülls lag der große Kristallteller, in den Himmlers Schwarze Sonne
eingraviert war. Ihre zwölf Strahlen umschlangen einander wie Tentakel, und Don
kam es vor, als würden sie sich nach ihm ausstrecken, um ihn zu verschlingen.
    In einer
Schublade hatte er Auktionszeitschriften gefunden, in denen der Preis jedes
Gegenstands sorgfältig mit roter Tinte eingetragen war. Er hatte sich nie
getraut, sie zu fragen, warum sie die Krankheit in ihr eigenes Haus geholt
hatte, und er wusste auch nicht, ob Bube ihm darauf eine Antwort hätte geben
können.
    Zu Hause
in Stockholm hatte Don weder gewagt, von der Sammlung noch von Bubes
schrecklichen Geschichten zu berichten. Er schrieb einige ihrer Erzählungen in
das farbenfrohe Notizbuch, das sein Grundschullehrer in der Klasse ausgeteilt
hatte. Doch er hatte es nie jemandem zu lesen gegeben, und mit der Zeit gruben
sich ihre Worte immer tiefer ein.
    In dem
Sommer, als er elf Jahre alt wurde, hatte Don sich geweigert, in das Haus nach
Bästad zu fahren. Er hatte gerade eine kleine Schwester bekommen und wollte
nicht oder traute sich nicht länger, mit Bube und ihrem gespenstischen Büfett
allein zu sein. Sein Vater und seine Mutter hatten auf ihn eingeredet, doch
schließlich ließen sie ihn mit eigenem Schlüssel in der Villa in Enskede zu
Hause bleiben. Aus diesem Grund war es auch ein Elfjähriger, der das Telefonat
aus dem Krankenhaus in Skäne entgegennahm, in dem sie ihm mitteilten, dass
Großmutter tot war.
    Seit
diesem Moment wurde alles, was Bube betraf, in großes Schweigen gehüllt. Ihr
Haus war schnell verkauft worden, und Dons Vater hatte die Nazisymbole oder das
Büfett mit keinem Wort erwähnt.
    Es war,
als würde sein Vater jetzt, da Bube endlich weg war, eine Möglichkeit sehen,
sie alle in eine Familie ohne Vergangenheit zu verwandeln. Er hatte verboten,
Bücher über den Krieg zu lesen, und wenn irgendetwas darüber im Fernsehen kam,
schaltete er das Gerät sofort ab.
    Das
Schweigen im Hinblick auf Bube war mit der Zeit gewachsen und hatte Metastasen
entwickelt, bis das Leben in der Villa in Enskede nur noch aus einsamem
Besteckklappern und kurzen Phrasen aus mit Servietten abgetrockneten Mündern
bestand. Und schließlich kam es Don vor, als würde er ertrinken, so dass er es
eilig hatte, aus Enskede wegzukommen.
     
    Im
Hinblick auf Bubes Geschichten war es vielleicht eine eigenartige Wahl, doch
direkt im Anschluss ans Gymnasium hatte Don Medizin studiert. Vermutlich hatte
er eingesehen, dass er sich einem praktischen Beruf widmen musste, denn es
passierte oft, dass er sich in Gedanken verlor, und die Grenze zwischen Wirklichkeit
und Traum verschwamm.
    Die
Ausbildung absolvierte er, ohne sich irgendwelche Notizen zu machen. Alles,
was während der Vorlesungen gesagt wurde, prägte er sich unmittelbar ein, und
Bücher musste er kaum öffnen, schon konnte er den Inhalt zwischen ihren
Buchdeckeln bereits auswendig. Nach dem Dienst als Allgemeinmediziner wollte
er sich auf Chirurgie spezialisieren, doch als es an der Zeit war, die scharfe
Klinge des Skalpells anzusetzen, wurde er ohnmächtig. Stattdessen widmete er
sich dann der Psychiatrie, und in diesem Zusammenhang fand er auch endlich
Medikamente, die den Schmerz der Glassplitter seiner

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