Wallentin, Jan

nie erfahren, dass die Kraft der Bewegung der Italienerin so enorm
war, dass die messerscharfe Glaskante seine Stirn durchschnitt, als wäre sie
aus Butter, und daraufhin eine blutige Kerbe in seinen rechten Augapfel und
die Hirnhälfte riss, bis sie mit einer federnden Bewegung in die Innenseite des
Nasenbeins einschlug, wo sie steckenblieb.
     
    Über dem
daliegenden Körper wehte eine sanfte Brise durch die Kronen der Kiefern. Ein
stilles Plätschern der Wellen und schließlich, immer näher kommend: das
Motorengeräusch eines stotternden Wagens.
     
    Don
Titelman
     
    Don war es
gerade gelungen, seinen Renault in eine morastige Nische außerhalb des
Sommerhauses von Erik Hall zu manövrieren, als das Aufheulen eines Motorrads
die nächtliche Stille durchbrach. Im Rückspiegel sah er noch das rote
Rücklicht unmittelbar oberhalb des Asphalts davonflattern, bevor es in Richtung
Süden in der Dunkelheit verschwand.
    Er schaute
hinunter auf den gesprungenen Kunststoff der Kupplung seines eigenen
schrottreifen Gefährts, schloss die Finger um den mit Klebeband umwickelten
Knauf der Handbremse und zog sie an. Dann begann er an der launenhaften
Mechanik der Griffe und Knöpfe herumzufingern, und nach mehreren Versuchen gelang
es ihm endlich, den Hebel zu aktivieren, mit dem er die Fahrertür öffnen
konnte.
    Währenddessen
war das Dröhnen des Motorrads zu einem entfernten Rauschen abgeebbt, doch Don
hatte schon immer ein ausgeprägtes Gefühl für Geräusche besessen. Und das, was
er jetzt hörte, war ein großer Boxermotor mit niedrigem Schwerpunkt. Ein
vibrationsloser zweizylindriger Viertakter, der bei 8000 Umdrehungen eine
maximale Geschwindigkeit von weit über 250 Stundenkilometer erreichen konnte.
Eine Maschine, die von den Deutschen entwickelt wurde. Eine BMW.
    Er bewegte
seine dünnen Beine aus dem Wagen und setzte seine Stiefel auf den Boden.
Streckte seine Knie durch, um die Steifheit zu überwinden und auf andere
Gedanken zu kommen - doch sein innerer Prozessor war bereits aktiviert.
    Bayerische
Motoren Werke. Das Unternehmen, das das erste funktionstüchtige Düsentriebwerk
entwickelte. Sie hatten es am 18. Juli 1942 in eine Schwalbe eingebaut, eine
Messerschmitt ME 262. 1944 in Niedersachsen einen Testflug absolviert, und ihn
von 1945 an für die letzte verzweifelte Verteidigung des Herzstücks ihres
kranken Systems eingesetzt: in Stuttgart, Ulm, München, Innsbruck, Salzburg.
Die letzte überlegene Waffe neben den V2-Raketen. Es war ...
    Don schlug
mit dem Handgelenk gegen den Türrahmen, und der plötzlich aufflammende Schmerz
stoppte das innere Herunterleiern aus seinem Gedächtnis. Dann kletterte er aus
dem Fahrzeug und warf die funktionsuntüchtige Wagentür hinter sich zu. Rieb
sich den abgeblätterten Rost von den Handflächen und schaute hinüber in
Richtung des Gartenzauns.
    Er hatte
keine Ahnung, wie er sich das Haus des Tauchers vorgestellt hatte, aber dass
überhaupt kein Licht brannte, hätte er nicht erwartet. Es war ja erst... Doch,
es war schon dreiundzwanzig Uhr, und die Glasveranda wurde lediglich vom
Mondlicht erleuchtet. Dass der Taucher bereits schlief, schien allerdings
ungewöhnlich. Die Telefonate von Erik Hall in der vergangenen Woche waren
mehrfach nachts gekommen, in denen ihn der Taucher mit irgendeiner neuen
unzusammenhängenden Theorie über sein merkwürdiges Kreuz aus dem Schlaf
gerissen hatte.
    Man konnte
auf alle Fälle mal klopfen. Unerwartet anklopfen, das war auf dem Land doch
üblich, dachte Don.
     
    Auf dem
Weg zum Tor ließ er die Hand an den Zaunpfählen entlanggleiten. Jemand hatte
sich mit viel Liebe darum gekümmert, das Haus zu erhalten, das konnte er selbst
in der Dunkelheit erkennen. Don hob den Riegel an, stieß leicht gegen den
einen Holzflügel, und das Tor öffnete sich mit einem schabenden Geräusch auf
dem Kies.
    Jetzt, da
das Motorrad verschwunden war, hörte man lediglich ein schwaches Rauschen und
das verhaltene Tropfen des Wassers aus der Regenrinne in eine Tonne. Don war
auf dem Weg nach Norden vom Gewitter überrascht worden, doch hier oben schien
es bereits vor Stunden vorbeigezogen zu sein, und dafür, dass es später Abend
war, kam es ihm erstaunlich warm vor.
    Er ging im
Mondlicht den Kiesweg hinauf und konnte sein Spiegelbild in den Fenstern der
Glasveranda erkennen. Als er die Treppe erklommen hatte, versuchte er es mit
einem Klopfen, doch aus dem Inneren des Hauses kam keine Reaktion. Er presste
die Stirn gegen die Scheibe der Glastür und