Wallentin, Jan
Einschätzung in Bezug auf die Datierung seines Verschwindens und
die Zeitungen, die man gefunden hatte? Elena nickte nachdenklich, ja beinahe
unterwürfig angesichts seiner Antworten, und als Erik schließlich zu Whisky
überging, verzog sie keine Miene.
Sie war
doch letztlich nur ein kleines Mädchen, dachte er, wie stark auch immer sie
ihre Augen geschminkt hatte. Eine kleine sexy Italienerin, die aus
unerfindlichen Gründen in seiner Küche saß.
Jetzt, da
es langsam Nacht wurde, kam eine leicht stickige Wärme auf. Eine klebrige
physische Hitze, die zusammen mit dem Alkohol allmählich Schweißtropfen auf
seiner Stirn entstehen ließ. Erik hatte die salzige Feuchtigkeit gerade mit dem
Ärmel weggewischt, als die Italienerin einen Zeitungsausschnitt aus ihrer
Tasche zog: den Artikel aus der Samstagsbeilage des Dalakurir.
»Die
Worte, die dort über das Kreuz stehen ... sind sie wahr?«, fragte sie und
zeigte auf den letzten Absatz.
Er musste
ziemlich dumm dreingeblickt haben, denn sie lachte auf:
»Einer der
Polizisten hat sie für mich übersetzt, und er schien zu meinen, dass es sich um
etwas handelte, das Sie ... erfunden hätten. Stimmt das?«
Erik
spürte, wie sich sein Mund zu einer Grimasse verzog.
»Also ich
glaube Ihnen auf jeden Fall!«, beteuerte die Italienerin. »Außerdem habe ich
bereits meinen Redakteur angerufen, und der meint, dass diese Geschichte über
das Kreuz das Ganze noch viel spannender macht. Er besteht jedenfalls darauf,
dass ich ihm zumindest ein Foto davon mitbringe.«
Er hörte
kaum, was sie sagte, denn seine Gedanken waren zurück zur Fotografen-Fotze
gewandert. Die Italienerin versuchte es noch einmal:
»Ein Foto
nur, und dann werde ich auch gehen. Ich glaube jedenfalls, dass ich ohne das
Bild auf keinen Fall von hier wegfahren kann.«
Ohne das
Bild auf keinen Fall von hier wegfahren kann. Erik
schielte zum Zeitungsstapel hinüber.
»Ja, das
Kreuz würde ein gutes Foto abgeben«, bestätigte er. »Das wäre wirklich nett.«
Er
schwankte leicht, als er vom Stuhl aufstand. Stützte sich an der Lehne ab,
während ihm der Schweiß den Rücken hinunter in Richtung Pobacken lief.
Die
Italienerin schaltete das Diktaphon ab und legte es in ihre Tasche. Dann
stellte sie sich unmittelbar neben ihn.
»Ich kann
Ihnen behilflich sein«, flüsterte sie, »wenn Sie mir nur sagen, wo das Kreuz
ist.«
Erik
spürte die Atemzüge der Italienerin an seinem Ohr und begriff nicht gleich,
warum ihr plötzlich so viel daran lag. Doch er verstand immerhin: Wenn er ihr
erst mal das Kreuz gezeigt hätte, würde sie ihn verlassen und verschwinden.
»Okay ...
aber dann müssen Sie mir erst einen Gefallen tun«, entgegnete er.
Schaute zu
ihr hinunter und sah, dass sie nickte. Sie lächelte sogar.
»Sie
folgen mir nur für einen kurzen Moment nach draußen an die frische Luft ...«
Erik
wartete nicht auf eine Antwort, sondern fuhr stattdessen mit zunehmend belegter
Stimme fort:
»Wenn Sie
mir nach draußen folgen, werde ich Ihnen etwas zeigen, und dann können Sie
Ihre Fotos von dem Kreuz machen. Und zwar so viele Sie möchten.«
Als er
ihre Stimme vernahm, musste er noch einmal nachfragen, und es dauerte eine
Weile, bevor er begriff, dass sie wirklich mit Ja geantwortet hatte.
Sie sah so
zerbrechlich aus, als sie dort auf dem Kiesweg unterhalb der Treppe der
Glasveranda stand und auf ihn wartete. Als Erik auf Höhe der Italienerin war,
versuchte er einen Arm um ihre Schultern zu legen, doch sie entzog sich. Dann
hörte er sich selbst etwas Unzusammenhängendes über das Haus und seine Mutter
sagen und war erstaunt, dass die Kleine auflachte und so tat, als hätte sie es
verstanden.
Er zeigte
in Richtung des Zauns, der um das Haus herum bis zur Rückseite führte, und als
sie vor ihm ging, spürte er, wie er ihre Hüften, die in weichen Bewegungen auf-
und abwogten, am liebsten an sich gerissen hätte.
Direkt
hinter dem Haus lag ein Schuppen, aus dem Erik ein paar Handtücher holte, die
er mit hinaus in den Mondschein nahm. Dann bedeutete er der Italienerin, ihm zu
einer Öffnung im Zaun zu folgen, die zum Pfad hinunter in Richtung des
bewaldeten Abhangs führte.
Als sie an
den Waldrand gelangten, blieb sie stehen und schaute zum Mond hinauf. »Quanto e
bello.«
Einen
Augenblick lang schien die Italienerin zu zögern, doch als Erik ihr einen
leichten Knuff in den Rücken gab, setzte sie folgsam ihren Weg in die
Dunkelheit fort.
Während sie
Seite an Seite den schmalen Waldweg
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