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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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außerhalb von Falun aufzusuchen.
    Er stellte
das Glas zurück und lauschte dem Ticken der Mora-Uhr. Ein Blick auf seine
Armbanduhr sagte ihm, dass es noch eine halbe Stunde bis Mitternacht war.
Dreißig Minuten würde er hier drinnen im Haus wohl auf den Taucher warten
können, wenn es nur nicht so furchtbar dunkel wäre.
    Draußen im
Flur fand er keine Lampe, doch im Saal gab es einen alten Lichtschalter aus
Bakelit. Der Schein der Glühbirnen ließ die Fensterreihe glänzen, und als Don
seinen Blick auf die Schmalseite des Raumes richtete, erblickte er eine Gestalt
ohne Kopf und Füße. Sie baumelte an einem Bügel, der an einer angelehnten Tür
hing.
    Er ging
auf sie zu und befühlte das Kunststoffgewebe des Trockenanzugs, während er
darüber nachdachte, was es wohl für Menschen sein mussten, die freiwillig
Hunderte von Metern unter der Erde in einem Labyrinth herumkrochen. Dann hörte
er, wie es in den Angeln quietschte und die Tür langsam aufglitt.
    Einen
Augenblick lang dachte er, dass dort jemand im Bett lag, doch das, was wie ein
Mensch aussah, war lediglich eine Ansammlung von Decken. Alles sprach dafür,
dass der Taucher irgendwo in der Nähe sein musste - denn im Zimmer stand
ebenfalls ein angeschaltetes Gerät. Auf dem Bildschirm des Computers war der
Artikel aus der Lokalzeitung über das Kreuz zu sehen. Auf dem Fußboden lagen
Zeitschriften mit anderen Bildern, Fotos von Frauen mit gespreizten Beinen, und
ein Wirrwarr von schmutziger Wäsche, Bechern und Gläsern. Das Zimmer war ein
chazershtal, ein richtiger Saustall, und Don wollte die Tür gerade
wieder zuziehen, als sein Blick auf etwas fiel, das irgendwie nicht so richtig
ins Bild passte.
    Hinter
einer Ginflasche auf dem Nachttisch stand eine sepiafarbene Fotografie an die
Wand gelehnt. Sie stellte eine Art... Kirche dar, oder?
    Er machte
einen Schritt ins Zimmer hinein, griff nach dem Bild und nahm es mit sich in
den beleuchteten Saal.
    Hier
konnte er erkennen, dass auf der Fotografie keine Kirche, sondern eher eine
Kathedrale abgebildet war. Das Gebäude bestand aus drei Schiffen, und an den
Spitzen der Fassade befanden sich jeweils plusförmige Kreuze. Oberhalb des
geschlossenen Seitenportals prangte eine große Rosette flankiert von zwei
hohen Zeptern. Die eine Hälfte des Bildes war etwas verblasst, und auf dem mit
Kopfsteinpflaster versehenen Platz vor der Kathedrale standen drei
verschwommene Figuren, von denen eine aussah wie ein Kind. Sie gingen wohl
gerade zufällig vorbei, als das Foto gemacht wurde, was schon vor langer Zeit
geschehen sein dürfte.
    Don wölbte
vorsichtig das Papier, das erstaunlich fest war, und als er es umdrehte,
stellte er fest, dass es sich eigentlich um eine Postkarte handelte. Die
Briefmarke fehlte, und es stand auch keine Adresse auf den gepunkteten Linien,
doch oben links in der Ecke stand gedruckt:
     
    La
Cathedrale Saint Martin d'Ypres
     
    Dort, wo
normalerweise der Text steht, befand sich der Abdruck eines roten Mundes, als
hätte jemand mit geschminkten Lippen einen Kuss auf die Postkarte gedrückt. Und
oberhalb des Kusses stand mit sauberer Handschrift in blauer Tinte:
    La
bouche de mon amour Camille Malraux Le 22 avril L'homme vindicatif L'immensite
de son desir Les supremes adieux 1913
     
    Don drehte
die Karte und betrachtete wieder das Bild. Die Kathedrale in Ypern ein Jahr
vor dem Ersten Weltkrieg. Ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Phrasen auf
Französisch, geschrieben am 22. April 1913 an eine geliebte Frau. Sie
erinnerten an ein Gedicht.
    Irgendwo
im Flur oder der Glasveranda begann es zu rasseln. Erst dachte Don, dass es der
Taucher sei, der nach Hause kam, doch dann erklang der erste von zwölf Schlägen
der Mora-Uhr. Er klopfte leicht mit der Postkarte gegen seine Handfläche,
wartete darauf, dass das Geräusch verstummen würde, und dachte daran, dass die
Frist, die er sich gesetzt hatte, jetzt abgelaufen war.
    Als er das
Licht im Saal ausschaltete, konnte er wieder den Sternenhimmel draußen vor der
Fensterreihe sehen. Am Zaun war eine Wäscheleine gespannt, auf der Bettwäsche
hing, während sich dahinter ein Abhang mit hohen Bäumen anschloss.
    Irgendwie
schienen die Tabletten ihm nicht gut zu bekommen, und am liebsten hätte Don
sich in einen Sessel im Haus gesetzt, um sich auszuruhen. Doch draußen im Wagen
erschien es ihm angemessener, nicht ganz so aufdringlich, falls der Taucher
später nach Hause kommen würde.
     
    Als Don
die Glasveranda hinter sich gelassen hatte und den

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