Wallentin, Jan
Motorrad, holte sie ihre Lederkluft aus den Packtaschen. Streifte sich
die eng anliegende Lederkombi über und setzte den mattschwarzen Integralhelm
auf. Beugte sich nach vorn, betätigte mit dem Handschuh den Gasgriff und fuhr
weiter.
Bis nach
Jönköping herrschte kaum Verkehr, erst während der frühen Morgenstunden
zwischen Heisingborg und Malmö begannen die Schweden zu erwachen. Dort
drosselte sie etwas die Geschwindigkeit der getrimmten Maschine, und als sie
danach wieder vom blassgrünen Display aufsah, konnte Elena eine dänische Mautstation
vorbeifliegen sehen.
Endlich
war sie wieder auf dem Weg zurück.
Als sie
den Großraum Kopenhagen hinter sich gelassen hatte, fuhr sie die E20 an der
Küste von Seeland entlang der Kogebucht hinunter. Von dort aus folgte sie den
Anweisungen: in den Cordozavej abbiegen und dann links in den Jersie Strandvej
bis die radial montierten Bremsen die BMW vor der letzen Reihe mit Ziegelhäusern
zum Stehen brachten.
Sie setzte
den Helm ab und massierte sich die Schläfen, um das Rauschen in ihrem Kopf zu
dämpfen. Es hatte in der Dämmerung eingesetzt, und während der Fahrt dachte
sie, es wäre das Motorengeräusch. Doch auch jetzt, da der Motor abgeschaltet
war, wollte das Rauschen nicht aufhören. Es variierte zwar in der Lautstärke,
war jedoch ständig da, wie die gedämpften Stimmen der Eltern kurz vor dem
Einschlafen.
Das Kreuz
befand sich während der gesamten Fahrt unter der Lederkluft gegen ihre Brust
gepresst. Sie öffnete den Reißverschluss, um es durch das Regencape hindurch
zu ertasten. Obwohl sich das Metall durch ihre Körpertemperatur inzwischen
hätte angewärmt haben müssen, war es immer noch eiskalt. Sie zog den Reißverschluss
wieder hoch, drückte sich mit beiden Händen ab und glitt vom Sattel des
Motorrads. Ihre Stiefel hinterließen Abdrücke auf dem sandigen Asphalt.
Genau wie
man es ihr gesagt hatte, hing an einem der Häuser ein Briefkasten mit einem
DF-Aufkleber. Ein ovales Logo umschlossen von roten Pfeilen; das Symbol der
Dansk Folkeparti. Sie öffnete den Deckel und zog ein Kuvert hervor.
Elena bog
in den schmalen Pfad hinunter in Richtung des langen Strandes ein. Es war
windig geworden, und die Meeresbrise trieb den Sand über die Rücken der Dünen.
Während sie ging, drückte sie nachdenklich den Finger erst auf ihr rechtes und
dann auf ihr linkes Ohr. Öffnete den Mund und gähnte, doch das Rauschen und
Knistern dort drinnen wollte kein Ende nehmen. Es war lange her, dass ihre
Sinnesorgane ihr einen derartigen Streich gespielt hatten, aber wahrscheinlich
war sie einfach nur übermüdet.
Als Elena
sich ganz sicher war, allein zu sein, setzte sie sich in eine kleine Nische
zwischen den Dünen, die mit grünlich gelbem Strandroggen bewachsen waren. Von
hier aus konnte sie Streifen schwarzen Tangs und das glitzernde Meer sehen. Mit
einer entschlossenen Bewegung riss sie das Kuvert an der Seite auf, steckte
ihre Hand hinein und nahm ein Kartenhandy und einen Zettel mit der dreizehnstelligen
Nummer für Deutschland heraus. Stellte ihre Stoppuhr ein, auch wenn sie wusste,
dass ihr Gesprächspartner das Telefonat selber beenden würde, wenn die
vorgegebene Zeit abgelaufen wäre.
Zwei
knisternde Signale, dann meldete sich die Stimme, die sie schon als Kind
gefürchtet hatte:
»Ja?«
»Es ist
echt. Die Zeichen stimmen überein.«
»Das ist
eine erfreuliche Nachricht, Elena. Sehr gut.«
»Aber ...«
»Es gibt
da eine Abweichung.«
»Davon
wissen wir bereits«, unterbrach sie die Stimme. »Mach dir keine Sorgen, unsere
Freunde haben versprochen, sich darum zu kümmern.«
Sie löste
ihren Griff ums Handy ein wenig, und ihre Finger entspannten sich. Sie sah auf
die Uhr, noch dreißig Sekunden. »Da war noch etwas anderes ...«
»Etwas
anderes?«
»Er hat
noch etwas anderes gefunden.«
Erneutes
Knistern. Dann war die Stimme wieder zu hören:
»Elena?«
»Ja?«
»Komm
jetzt zurück nach Hause.«
Ein
schwaches Klicken, und dann hörte sie nur noch das Geräusch des Windes und das
Rauschen in ihrem Kopf.
Sie
entfernte langsam die Batterie aus dem Handy, während ihr auffiel, dass er von
ihrem Zuhause gesprochen hatte. So war es vielleicht, aber so würde sie es nie
empfinden. Elena sah vor ihrem inneren Auge, wie er sich bereits wieder dem
Ausblick durch die große Fensterfront zugewandt hatte, während sich die Falten
an seinen Mundwinkeln vertieften, wenn auch nur ein wenig. Und erst, als sie
dieses Bild vor sich sah, wurde
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