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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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war er viel zu weit
oben angebracht.
    Und dann
kam das Gesicht ihrer Mutter auf sie zu, dieses helle Oval oberhalb des
Viskosekleids, das wie eine zusätzliche Haut an ihrem Körper schimmerte. Als Elena
das Lachen ihrer Schwestern hörte, versuchte sie vergebens die Zeit
zurückzudrehen, um ihrem Leben an genau diesem Tag eine andere Richtung zu
geben. Der Tag, an dem ihre Fähigkeiten zum ersten Mal auf die Probe gestellt
worden waren.
     
    Strindberg
     
    Die Dämmerung
war langsam hereingebrochen, und ein Nieselregen zog über das grünlasierte
Ziegeldach auf der Anhöhe hinweg und hüllte die Baumkronen der Eichen und die
rauen Felsenhügel von Skansen in einen Mantel aus Feuchtigkeit. Doch im
fensterlosen Herzen der Villa, in der an eine Krypta erinnernden Bibliothek,
konnte man die Nacht nicht vom Tag unterscheiden. Hier drinnen fiel ein warmes
Licht von den gläsernen Lampen auf den Tisch, und das einzige Geräusch bestand
darin, dass Eberlein sachte mit den Fingern gegen den Verschluss eines
gewaltigen Schreins aus Metall trommelte. Zwischen den akkurat gefeilten
Fingernägeln des Deutschen hindurch war es Don gerade gelungen, ein festgenietetes
Etikett zu erkennen:
     
    Strindberg 1895-97
     
    Die Kröte,
die den Metallschrein hereingebracht hatte, saß inzwischen wieder auf ihrem
Hocker hinten am Bücherregal, wo ihr Gesicht zur Hälfte im Dunkeln lag. An
Dons Seite hatte sich Eva Strand mit verschränkten Armen und übergeschlagenen
Beinen zurückgelehnt, während ihr Mund zu einem geraden Strich geformt war.
Dann verstummte der Trommelwirbel, und Eberlein brach die Stille:
    »Also, um
Ihnen die Möglichkeit zu geben, die Sache im rechten Licht zu betrachten ...
Darf ich mit einer Frage beginnen: Kennen Sie die Taklamakan-Wüste?«
    Aus
Richtung der Kröte war ein missmutiger Seufzer zu hören.
    »Die
Taklamakan-Wüste«, fuhr Eberlein fort, ohne Notiz von der Kröte zu nehmen, »ist
eine Art Ozean aus Sand, der sich vom Dach der Welt, also den Gebirgsmassiven
des Pamir über dreihunderttausend Quadratkilometer hinweg geradewegs bis ins
nordwestliche China hinein erstreckt. Arktische Kälte im Winter, und sobald es
Sommer wird, kann sich der Sand an gewissen Tagen in eine Art Backofen
verwandeln und eine Hitze von über fünfzig Grad erreichen. Man nennt sie auch
die Hölle auf Erden. Sie ist jedenfalls ein Ort, an dem man unmöglich leben
kann, und bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts war das Gebiet, eine Terra
incognita von der Größe Deutschlands, auf den Karten lediglich als weißer Fleck
verzeichnet. Zu der Zeit kannte noch keiner ihr Inneres, nicht einmal
diejenigen, die in der Nähe der Wüste lebten. Das einzige Wissen, das
existierte, bestand aus einigen Zeilen in den Aufzeichnungen, die Marco Polo
im vierzehnten Jahrhundert hinterlassen hatte, phantasievolle Beschreibungen
von uralten Städten, die unter Hunderten von Metern hoher Sanddünen begraben lagen.
Der Erste, der sich in diese absolute Leere hineinwagte, kam aus einer
entlegenen Gegend in Nordeuropa. Er hieß Sven Hedin.«
    Es knarrte,
als Don seine Stellung auf dem Stuhl änderte.
    »Sie haben
ja bereits von Sven Hedins Reisen gehört, nehme ich an«, sagte Eberlein.
    »Heute
bewahre ich eine tiefe und unauslöschliche Erinnerung an Adolf Hitler und
betrachte ihn als einen der größten Menschen, den die Weltgeschichte besessen
hat«, sagte Don.
    Von der
Kröte war erneut ein Grummeln zu hören, doch Don zuckte lediglich mit seinen
gekrümmten Schultern:
    »Das hat
Sven Hedin zu Kriegsende über Adolf Hitler geschrieben:
    >Heute
bewahre ich eine tiefe und unauslöschliche Erinnerung an Adolf Hitler und
betrachte ihn als einen der größten Menschen, den die Weltgeschichte besessen
hat.< Er wurde sogar geadelt - Hedin also.«
    »Ja, wo
Sven Hedin politisch stand, hat nichts mit dieser Sache hier zu tun, das kann
ich Ihnen versichern«, entgegnete Eberlein.
    Dann schob
der Deutsche den metallenen Schrein zur Seite und beugte sich über den Tisch
vor.
    »Nein,
hier geht es um etwas, das sich lange, lange vor dem Krieg ereignet hat, als
Hedin knapp dreißig Jahre alt und noch ein junger Entdeckungsreisender war. Zu
Beginn des Jahres 1895 stand er an der Grenze zur Taklamakan-Wüste. Um dorthin
zu gelangen war er in einem Eisenbahnwaggon von Sankt Petersburg nach Taschkent
im russischen Turkestan gefahren und von dort in einer mit Pelzen
ausgestatteten Pferdekutsche weiter über die gefrorene Steppe, um schließlich
gemeinsam mit

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