Wallentin, Jan
Ursa Minor, den Kleinen Bär oder auch den Kleinen
Wagen nennen.«
Dann
folgten seine Finger den sieben Punkten in der Sphäre oberhalb von Kreuz und
Stern vom Viereck des Wagens bis hin zum Ende seines Handgriffs:
»Zuerst
beginnen die Doppelsterne Pherkad und Kochab zu leuchten. Dieser hier heißt
Anwar Al Farkadain und der hier Akhfa Al Farkadain. Dann kommen Urodelus und
Yildun, und ganz oben ist Polaris, der Polarstern, beziehungsweise Nordstern zu
sehen, wie Nils Strindberg ihn genannt hat. Der Stern, der als Fixstern über
dem Nordpol der Erdkugel steht.«
Eberlein
saß eine Weile stumm da und betrachtete die Zeichnung. Dann erläuterte er:
»Strindbergs
Anmerkungen zufolge entstand das Muster dieser sieben Punkte hier oberhalb des
Kreuzes und des Sterns aus dem Nichts, und zwar nahezu unmittelbar nachdem die
Gegenstände zusammengeschmolzen waren. Anfänglich glaubte er, dass es sich um
Partikel handelte, die aus dem Bunsenbrenner entwichen waren, und begriff
nicht, warum sie einfach hängen blieben. Dann, nach etwa einer Minute, fügte
sich das Sternbild in diese erste Himmelsphäre ein, die er oberhalb des Kreuzes
und des Sterns gezeichnet hat. Später schrieb er, dass sie ihm wie ein
Heiligenschein erschien, der sich aus dem Nichts heraus bildete.«
»Die erste Sphäre?«,
fragte Don.
Eberlein
nickte in Richtung der unteren Zeichnung. Don fuhr sich mit der Zunge über die
rissigen Lippen und richtete langsam seinen Blick nach unten.
Auf dem
nächsten Bild war tatsächlich eine weitere Sphäre zu sehen. Unterhalb des
Sternenhimmels mit dem Kleinen Wagen hatte Nils Strindberg einen weiteren
Halbkreis über das Kreuz und den Stern gezeichnet, eine verwaschene graue
Kuppel, die mit Konturen versehen war, die man kaum missverstehen konnte.
»Er hat
also die Nordhalbkugel abgezeichnet?«, fragte Don.
»Er hat
die zweite Sphäre abgezeichnet«, korrigierte Eberlein ihn.
Dann
folgte der Deutsche mit seinem baumwollbekleideten Finger den Begrenzungen der
Länder:
»Die
sibirische Küste am Nordpolarmeer. Die Kola-Halbinsel. Die Fjorde in
Nordnorwegen ... Svalbard und Sjuoyane. Die Gletscherausläufer auf Grönland
und die Lincolnsee. Die kanadische Nordküste und die Tundra Alaskas an der
Bering-Straße. Und hier ...«
Sein
Finger bewegte sich zurück zur Mitte der unteren Sphäre: »Der Nordpol.«
»Und was
ist das dort?«, fragte Eva.
Vom Polarstern
aus verlief eine dünne Linie zu einem Punkt, der ein paar Zentimeter von
Eberleins Finger entfernt lag.
»Das«,
erklärte Eberlein, »ist ein Lichtstrahl. Am Ende der Reaktion fiel er vom
Polarstern herab in Richtung der Nordhalbkugel, und Nils Strindberg schien
nahezu unmittelbar davon ausgegangen zu sein, dass er als eine Art Wegweiser
fungierte.«
Don hob
den vergilbten Papierbogen aus dem Laboratorium an, um ihn unters Licht zu
halten.
Der
Lichtstrahl, der vom Polarstern ausging, endete an einem kleinen Kreuz ein
Stück nördlich der Kontur, die Eberlein als Svalbard bezeichnet hatte. Doch
jetzt, wo das Licht stärker war, erkannte Don, dass sich noch weitere kleine
Kreuze im selben Gebiet befanden, ebenso mit Bleistift eingezeichnet und
sorgfältig nummeriert. Sie schienen in einer Liste am rechten Blattrand
verzeichnet zu sein:
pos.
1 (29/6] pos. 2 (30/6) pos. 3 (1/7): pos. 4 (2/7): pos. 5 (3/7): pos. 6 (4/7):
lat.
82°50'N, long. 29°40'O lat. 83°45'N, long.
27°10'O!
unveränd.
unveränd.
lat.
83°10'N, long. 34°30'O!!
unveränd.!!!
»Nach
mehreren Versuchen gelang es Nils Strindberg mit erstaunlicher Präzision
auszurechnen, wohin die Spitze des Strahls wies«, sagte Eberlein, als Don
aufschaute. »Wie Sie sehen, fanden bereits von Beginn an geringe, aber
regelmäßige Positionsveränderungen statt, und es dauerte lange, bis er ein
Muster dahinter erkennen konnte.«
Der
Deutsche überblätterte einige Seiten mit zunehmend detaillierten Zeichnungen
von den Himmelssphären, der Halbkugel und dem Strahl, bis er zu einer
sorgfältig mit Spalten versehenen Tabelle gelangte. Er folgte den Datums- und
Positionsangaben mit dem Finger:
»Das hier
ist, soweit wir wissen, die erste fundierte Aufstellung, die Nils Strindberg
über die Veränderung des Strahls angefertigt hat. Sie stammt von Anfang August
1895, und er hatte inzwischen offenbar gelernt, ziemlich schnell zu zeichnen,
denn die Reaktion mit den Sphären dauerte bei jedem Versuch nur etwa zehn Minuten.
Danach zerfielen der Stern und das Kreuz wieder in zwei kühle,
Weitere Kostenlose Bücher