Wallentin, Jan

perfekt geformte
Gegenstände, und es schien, als hätte die Verschmelzung nie stattgefunden.«
    Eberlein
ließ die Tabelle vor ihnen liegen, während er begann, die Glasplatten auf der
grauen Watte wieder einzusammeln.
    »Wie Sie
sehen können«, fuhr er schließlich mit gebeugtem Kopf fort, während er mit den
Glasplatten hantierte, »handelt es sich um ungefähr fünfzig Versuche, bei denen
der Ablauf jedes Mal derselbe war. Nils Strindberg legte den Stern zusammen
mit dem Kreuz auf das Metallnetz des Bunsenbrenners und brachte die Flamme auf
die entsprechende Temperatur. In dem Moment, als der Stern und das Kreuz zu
einem Objekt zusammenschmolzen, begannen die sieben Punkte zu leuchten. Sie
bildeten bei jedem Versuch die Form des Kleinen Wagens, wobei der Polarstern im
Zenit oberhalb der Mitte der miteinander verschmolzenen Gegenstände stand.
Nach ungefähr einer Minute wurde die Himmelssphäre sichtbar, dicht gefolgt von
der dunklen Halbkugel der nördlichen Hemisphäre. Am Ende der Reaktion war stets
der dünne Lichtstrahl zu sehen, der vom Polarstern aus auf einen Punkt in der
Nähe des dreiundachtzigsten Breitengrades nördlich von Svalbard fiel. Und wenn
Sie dort in die Tabelle schauen, ist der Abstand zwischen den verschiedenen
Positionen gering; sie befinden sich innerhalb eines Radius von zwölf Meilen.
Schließlich zog Nils Strindberg den Schluss, dass der Positionswechsel
regelmäßig auftrat, aber die Ausrichtung des Strahls sich ungefähr jeden
dritten Tag änderte. Es schien nahezu, als folgte er einem beweglichen Objekt
innerhalb dieses begrenzten Gebietes nördlich von Svalbard wie ein Zeiger, der
sein Ziel anpeilt.«
    Eberlein
umwickelte die Glasplatten mit der Watte. Dann legte er sie vorsichtig zurück
in den Karton.
    »Ver volt
dos gegloybt«, sagte Don leise.
     
    Das Erwachen
     
    Der
erstarrte Augenblick hatte sich jedes Mal von neuem in Elenas Träume gebohrt
und sie dazu gebracht, schweißgebadet aufzuwachen. Nicht einmal jetzt, wo sie
sich auf die Bettkante gesetzt hatte und in die Dunkelheit ihrer Dachwohnung
blickte, konnte sie etwas dagegen tun, dass das Bild wieder verschwand.
    Die
Erinnerung an die Frau, deren Gesicht dem ihren so ähnelte, das kurze schwarze
Haar, die hohen Wangenknochen, der breite Mund. Ihre Mutter kniete immer noch
auf dem Marmorboden am Fuß der Treppe im Bankgebäude, die Arme ausgebreitet,
während sie Elena anflehte herunterzukommen.
    Dann war
das anhaltende Echo ihrer eigenen kurzen Antwort zu hören, die Stimme einer
Sechsjährigen, die in der gewaltigen Halle piepsig und dünn klang:
    »Wer ist
das, Vater?«
    Als sie
die Sicherheitskräfte hatte kommen sehen, drückte sie die sehnigen Finger ihres
Vaters noch fester. Denn sie wusste nur zu gut, wer die Frau war, die da zu
guter Letzt in Wewelsburg in der Bank erschien, um sie zu holen. Doch die Frau
war viel zu spät gekommen.
     
    *
     
    Als Elena
fünf Jahre alt war, hatte sie sich zum ersten Mal getraut, ihrer Mutter ihr
größtes Geheimnis zuzuflüstern. Nämlich dass sie die Fähigkeit besaß, die
Gedanken anderer Menschen lesen und all ihre Träume und Wünsche in einer leicht
verwrungenen, funkensprühenden Form erkennen zu können. Zuerst hatte ihre
Mutter über sie gelacht und alles als kindliche Phantasien abgetan. Doch als
Elena Bilder von den eigentümlichen Perversionen und Begierden der Erwachsenen
malte, verblasste das Lächeln ihrer Mutter.
    In diesem
Frühling vor langer Zeit, als sie eigentlich viel lieber mit ihren Schwestern
gespielt hätte, hatte man sie zu einer endlosen Reihe parapsychologischer
Tests geschleppt.
    Wie ein
Zirkusaffe musste sie ihre Fähigkeit, verdeckte Zahlenreihen lesen zu können,
zur Schau stellen. Der Ganzfeld-Versuch, bei dem man ihr die Augen verband und
sie zwang, Kopfhörer zu tragen, aus denen ein lautes Rauschen ertönte. Und
dann: die lange Reise hinauf zu den Männern im Norden und der Klang ihrer Sprache,
der sich in ihren Ohren so schmutzig und hart anhörte. Die Erinnerung an die
Panik, als man ihren Kopf in etwas hineinschob, das der Trommel einer
Waschmaschine glich. Ihr Haar war mit Metallklammern zusammengefasst und ihr
gesamter Schädel mit Sonden bedeckt, an denen Schläuche befestigt waren, als
man eine erste Messung der außergewöhnlichen Fähigkeiten eines kleinen Mädchens
vornahm, die astrale Wellen und elektrische Aktivität wahrnehmen konnte.
    Danach
hatte man sie bei Vater in Wewelsburg abgesetzt und verlassen; ein Jahr war in
der