Wallentin, Jan
Nachtluft
spüren.
Als der überwiegende
Teil der Glasreste entfernt war, ließ er die Finger um seinen Jackettärmel los
und streckte die Hand durchs Fenster hinaus. Etwas unterhalb des Rahmens stieß
Don auf etwas Feuchtes, und als er die Hand zurückzog, konnte er im Schein der
Glühlampen erkennen, dass seine Finger von der Erde schwarz geworden waren. Er
zeigte sie Eva.
»Ich bin
nicht so sicher, ob das eine gute Idee ist«, meinte sie.
Ihre
Frisur war durcheinandergeraten, die Augen rot gerändert.
»Haben Sie
eine bessere Idee?«, fragte Don und kletterte wieder herunter.
Er erhielt
keine Antwort.
Das
Benzodiazepin, das in den Xanorkapseln enthalten war, zeigte jetzt deutliche
Wirkung, und Don bewegte sich mit einem Gefühl ungewohnter innerer Ruhe wieder
zurück zur Glastür und in den Servierraum hinein. Auf der Plastikmatratze lag
seine schwarze Tasche, in deren glattem Leder sich das Deckenlicht spiegelte.
Er ergriff
den Schulterriemen und ging dann zur verschlossenen Küchentür, um zu horchen.
Keine Schritte, keine Stimmen, nichts. Er sah auf die Uhr. Es war halb vier,
draußen musste es immer noch dunkel sein. Ein kurzer Sprint bis hinaus auf die
Eichenallee, auf der er hinunter an die Straße gelangen würde, die an Skansen
vorbeiführte. Von dort zum Karlaplan und dann in Richtung Hauptbahnhof. In
die U-Bahn nach Norden umsteigen und zum einzigen Ort fahren, von dem er
wusste, dass er sicher war.
Dann
überdachte er die Sache mit dem Sprint noch einmal; wann war er eigentlich
zuletzt gerannt? Obwohl er immer ein ausgezeichnetes Gedächtnis besessen
hatte, fehlten ihm jegliche Erinnerungen an Bilder dieser Art von Bewegung.
Doch irgendetwas, vermutlich Xanor in Kombination mit Dexamphetamin, vermittelte
Don das Gefühl, dass er sich in einer Situation wie dieser extrem schnell würde
fortbewegen können.
Don hängte
sich den Riemen der Tasche über die Schulter, vergewisserte sich, dass sie
sicher hing, und mit einem letzten Blick hinaus in den Servierraum zog er die
Glastür erneut hinter sich zu.
Im
Ziegelgewölbe stand die Rechtsanwältin und erwartete ihn. Sie schaute zum
klaffenden Kellerfenster hinauf.
»Die
Öffnung ist viel zu klein«, sagte sie. »Sie werden niemals hinausgelangen, und
selbst wenn, was werden Sie dann tun?«
»Ich habe
da eine vage Idee«, antwortete Don.
»Das
klingt ja beruhigend«, entgegnete Eva.
Sie hatte
die Arme vor dem Fischgrätenmuster verschränkt.
»Besser
als hierzubleiben«, meinte Don. »Oder was denken Sie?«
Eva
blickte zur Treppe, die nach oben führte. Dann sagte sie mit einem matten
Lächeln:
»Ein
Rechtsanwalt muss in einem Prozess Auswege finden und darf seinen Klienten
niemals in eine Sackgasse leiten.«
Sie
schaute ihn an; ihm war es gerade gelungen, auf dem untersten Regalbrett
balancierend zum Stehen zu kommen.
»Viel
Glück.«
Aus dem
Servierraum hatte Don zwei weiße Handtücher mitgenommen. Jetzt wickelte er sie
sich um die Hände, streckte sie in Richtung Fensterrahmen und hielt sich fest.
Als er merkte, dass die Kraft in seinen Armen nicht ausreichte, rief er nach
Hilfe. Eva schob ihn ein Stück nach oben, woraufhin er seinen Stiefel auf eine
ihrer Schultern stellte.
»Das hier
ist unter meiner Würde«, meinte er sie sagen zu hören, unmittelbar bevor er
sich abstieß und es ihm gelang, sich nach oben zu ziehen, wo er sich mit dem
Brustkorb halb durchs Fenster hindurchschob.
In seinem
Bauch stach es, als er sich an einer Glasscherbe schnitt, die er aus
Nachlässigkeit nicht entfernt hatte. Dann drehte er den Kopf und schaute sich
draußen in der Freiheit um.
Auf der
rechten Seite erkannte er einige Meter entfernt die Fassade der Villa mit
ihren braunen Holzschindeln. Links befanden sich Äste, Zweige und Blattwerk.
Gartensträucher, dachte Don und schob sich noch ein wenig vor. Dann gelang es
ihm, die Beine durchs Kellerfenster hindurch nach oben zu schwingen, wo er in
die Hocke ging und sich mit dem Rücken gegen die dunkle Hauswand lehnte.
»Wie sieht
es aus?«
Ein
Flüstern von unten aus dem Weinkeller.
Don kroch
so leise er konnte zurück zum Fenster. Er schaute hinein. Sah Eva Strands
Gesicht dort unten, das inzwischen etwas beunruhigt wirkte.
»Ich hätte
nicht gedacht, dass Sie es ernst meinen«, sagte sie leise.
»Sie haben
jedenfalls gute Hilfestellung geleistet«, erwiderte Don.
Sie nickte
und sah sich planlos in dem leeren Ziegelgewölbe um. »Sie bleiben also?«,
fragte Don. »Ich
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