Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Gebüsche boten sich allenthalben.
»Ich will dir helfen, das Ufer zu gewinnen,« rief er hinüber. Rasch knüpfte er mehrere lange Binsen aneinander und warf dies künstliche Seil auf den Stamm, der bis jetzt noch kaum zehn Schritte vom Lande entfernt war.
»Fasse das Ende, so kann ich dich herüberziehen,« rief er erfreut, ihr diesen kleinen Dienst leisten zu können. Aber wie lähmte ihn das Erstaunen, da sie sich keineswegs nach den Binsen bückte, sie zu fassen! Sie fielen neben ihr nieder, sie blieb bewegungslos.
»Tue mir die Freundschaft,« sagte er, »und fasse das Seil, ehe der Baum weiter in den Fluß hineinschwimmt.« Sie blieb teilnahmlos mit gesenktem Haupte stehen.
»Was ist mit ihr geschehen,« murmelte der Erschrockene. Sie schien völlig bei Bewußtsein und dennoch glich sie eher einer Toten als einer Lebenden. Er wiederholte seine Bitte, sie möge das Tau fassen, dringender; schließlich, als er bemerkte, daß der Stamm leise dem Binsenseil entfloh, schrie er sie in heller Verzweiflung an; ja, er gebrauchte sogar zornige Worte, tadelte ihren Leichtsinn, beschwor sie, es sei ihre Pflicht, sich ihm zu retten. Alles umsonst, nichts machte einen Eindruck auf die Unglückliche. Plötzlich ließ sich rechts im Schilf ein eigenes Rauschen vernehmen; unheimlich knisterten die Halme, zuweilen knirschten die Steine oder Äste, als schleppe sich ein schwerfälliger Gegenstand über sie hin. Menes zuckte zusammen, seine Lippen wurden blau, er rang unwillkürlich die Hände – denn durch das Gestrüpp glänzte und bewegte es sich grün. Der grüne Koloß kam näher, seine Schuppen regten sich geschmeidig; Menes' Auge hing verzweiflungsvoll bald an der zarten Gestalt Myrrah's, bald an diesem furchtbaren Wasserbewohner, der Menschenfleisch witternd herankroch, seinen warzigen Eidechsenschwanz gemächlich durch die sich beugenden Halme nachschleifend.
»Du bist verloren – ein Krokodil,« mehr vermochte er nicht hervorzustammeln. Sie sank immer mehr in sich zusammen und verhüllte ihr Haupt im Schoße, wie es schien, gefaßt dem Entsetzlichen entgegensehend, auf welches sie wohl gewartet hatte. Da erhob sie sich noch einmal zur Hälfte, reckte ihre Hand wie dankend gegen Menes aus und sank darauf in die vorige Stellung zurück. Menes stand anfangs wie gelähmt. Was sollte er von Myrrah denken? War das nicht das Benehmen einer Wahnsinnigen? Wenn es nicht Wahnsinn war, was ihm da gegenüberstand, so war es nichts anderes, als der feste Entschluß, zu sterben; dieser leuchtete aus ihren schmerzlichen Augen, dieser drückte sich durch ihr Betragen aus. »Aber sie soll nicht sterben,« tönte es in seinem Inneren. Noch war das Untier ziemlich entfernt, noch war Rettung möglich. Wie von Sinnen riß er das Binsenseil aus der Flut zurück, knüpfte eine Schlinge aus dessen Ende und schleuderte es noch einmal in das Geäst des schwimmenden Stammes. O, ihr Götter! laßt es dort haften! laßt die Schlinge fassen! betete er, das Leben zweier Menschen hängt an diesem Seil, denn ihr Tod ist auch der meine. Er zog. Wahrlich! die Götter waren gnädig! der Stamm bewegte sich, die Schlinge hatte gefaßt. Aber das Seil war schwach; er bemerkte, wie sich die einzelnen Binsen voneinander lösten, er wollte es übersehen; nur ziehen, ziehen, ehe sich der zähnestarrende Rachen des Ungetüms näherte; es muß gelingen, die Götter werden den dünnen Binsen Eisenfestigkeit verleihen. Langsam schwamm der Baum näher; das Krokodil im Röhricht wurde immer deutlicher sichtbar, es schien nicht geneigt, sich seine Beute entgehen zu lassen. Menes schleuderte Blicke auf dasselbe, als seien diese imstande, es zu vernichten. Jetzt endlich stieß der Stamm ans Land, zitternd hob er die Hingesunkene empor und trug sie auf seinen Armen im rascheste Lauf eine Strecke weit vom Ufer hinweg. Dort, außer dem Bereich des Tieres, ließ er sie am Fuß eines Hügels nieder, beugte sich über die völlig Erschöpfte und rief sie zärtlich beim Namen. Als sie hierauf keine Antwort gab, sondern ihr Haupt krampfhaft auf die Brust preßte, wagte er es, dasselbe langsam in die Höhe zu heben. Kaum hatte er sie berührt, so schnellte sie empor; ein bitterer Ausdruck spielte schmerzlich über ihre bleichen Züge.
»Du hast mich gerettet,« sprach sie rauh, »warum tatest du dies? Hab' ich dich gerufen? Hab' ich deine Hilfe in Anspruch nehmen wollen? Nein.«
»Myrrah, sprich nicht so verstört,« sagte er mit zitternder Stimme, indes sein Auge sich mit
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