Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Liebe; ihr müßt euch trennen, um, seid ihr euch treu geblieben, euch desto inniger zu vereinigen. Während ich Myrrah als meine Tochter im Hause behalte, fordere ich von dir, Menes, daß du deinem Berufe nachgehst. Dir winken bereits die Ehrenstellen am Hofe des Königs, und erst gestern erhielt ich einen Brief des Oberkämmerers, worin er um eine Audienz für dich bei Ramses nachsuchen will. Es ist Zeit, daß du die Staffel betrittst, die dich auf den Posten deines verstorbenen Vaters geleitet, du kannst nicht mehr länger in Memphis müßig wandeln, das fühlst du selbst.«
Mit Ungeduld hing das Auge der Witwe, nachdem sie also gesprochen, an den Zügen ihres Sohnes, der träumerisch zu Boden sah. Ohne Zweifel war sie aufs äußerste gespannt, was er auf diese ihre Forderung erwidern werde, denn sie wechselte mehrmals die Farbe und wischte sich den Schweiß hastig von der Stirne. Als Menes immer noch schwieg, verdüsterten sich ihre Blicke immer mehr, erst als er plötzlich zusammenzuckte und ihr groß in die Augen sah, versuchte sie wieder ihr eigenartiges Lächeln.
»Nun, Menes,« sagte sie, »ich wünsche deine Meinung zu hören. Bist du so schwach, dich nicht von Myrrah trennen zu können, die du doch in guten Händen weißt! Sieh nur, dein Mädchen besitzt mehr Mut wie du.«
Myrrah war vom Boden, auf dem sie bis jetzt gekauert, aufgestanden; ihre Züge drückten die beängstigendste Unruhe aus; auch sie wartete mit bebender Spannung auf die Antwort ihres Menes. Dieser richtete sich nun an seine Geliebte.
»Was soll ich tun, Myrrah?« frug er. »Gib du mir deinen Rat zu hören.«
»Wie?« rief Asso, »ein Mann fordert, den Rat eines unerfahrenen Kindes zu hören? Hast du keine eigenen Entschlüsse? Hängst du von fremdem Willen ab?«
»Ich frage dich, Myrrah,« sagte Menes, »noch einmal, soll ich gehen? Dich verlassen? Du schüttelst traurig dein liebes Haupt? Aber dennoch werde ich es müssen. Meiner Mutter kann ich nicht unrecht geben, sie meint es gut mit mir und, wenn ich ihrem Wunsche folge, erzeige ich mir selbst den größten Dienst.«
Er trat zu der Erblassenden heran.
»Du bist stark genug, die Prüfungszeit, die wir uns beide auferlegen müssen, geduldig zu ertragen,« sagte er, sie umschlingend, »komme, tritt zu der Frau, die dein Wohl und das meine zu fördern versprochen, reiche ihr die Hand. Sie hat durch ihr rasches Handeln einen ungünstigen Eindruck auf dich gemacht, jedoch sie kann auch weich und gut sein, wie du bemerkst. Sieh! sie lächelt dich freundlich an, sie will dich zu ihrer Tochter machen; fasse Zutrauen zu der, die ich achten und verehren muß. Sie ist nicht so, wie sie sich dir anfangs zeigte.«
Asso faßte die Hand der Widerstrebenden.
»Mein Kind,« sagte sie mit sanfter Würde, »von deinem Benehmen wird es abhängen, ob ich dich lieben lernen kann. An mir soll es nicht fehlen, ich werde mir Mühe geben, mich an dich zu gewöhnen. Sei heiter, denn deiner harren glückliche Tage.«
Da Myrrah regungslos mit niedergeschlagenen Augen dastand, wendete sich die Witwe an Menes.
»Du siehst,« sagte sie, »meinen guten Willen, mir dies Herz zu gewinnen; es ist nicht meine Schuld, wenn sie meine Liebe abweist.«
»Gönne ihr einige Tage Ruhe und Überlegung,« entgegnete Menes, »ich bin davon überzeugt, daß sie sich an dich anschließen wird. Noch zittert der Schrecken dieser Überraschung in ihrer Seele nach; wenn sich der Sturm gelegt, wird sie klarer einsehen, welche Wohltat sie durch dich genießt. Überlasse sie nur meinem Troste.«
Asso wandte sich zum Gehen, ihr Auge glänzte wie das eines sieghaften Feldherrn. Hatte sie es doch erreicht, was sie wünschte, ihren Sohn diesem tatlosen Leben entrissen und einem ruhmvolleren entgegengeführt zu haben.
Menes pries sich glücklich, daß die Dinge, die so ernst begonnen, eine so schöne, hoffnungerweckende Wendung genommen hatten; der Sturm, der drohend herangebraust war, löste sich nun in milden Duft auf; er hatte, wie er sich sagte, das Herz seiner Mutter besiegt; auch nicht die leiseste Wolke des Argwohns trübte den Horizont seines Glückes. Die Zukunft glänzte vor seinem Blick wie die Landschaft nach der Überschwemmung des Nil; die kurze Trennung von der Geliebten diente ja nur der Seligkeit zur Würze, und da diese Trennung unvermeidlich war, wie gut, daß er nun wenigstens Myrrah zufrieden im Arm des Reichtums wußte. Auch Myrrah, die sich anfangs unter Tränen dagegen sträubte, die Dienerin einer
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