Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
zu sehen, aufgesprungen wäre, um sich der stolzen Dame zu Füßen zu werfen.
»Verzeihung,« weinte die Geängstigte, »ich bin eine Jüdin! Verzeihung, hohe Frau. Wenn Ihr die Mutter dieses Jünglings seid, werft Euren Groll auf mich, nicht auf sein schuldloses Haupt.«
Diese Worte gaben der Witwe ihre Fassung zurück; die Übermacht der in ihrem Busen aufgespeicherten Entrüstung ließ sie die Gegenwart ihres Sohnes völlig vergessen. Sie schleuderte einen Zornblick auf Myrrah, drängte die Arme der Flehenden zurück, die sich um ihre Knie schlingen wollten, und brach in ein konvulsivisches Gelächter aus.
»Rebekka hatte also dennoch recht? Das also ist die Göttin, der er in diesem Tempel zu Füßen liegt? Das also ist die Schlange, die ihn verführt,« preßte sie hervor, »die ihn abhalten will, dereinst mit Rang und Würde geziert seiner Mutter Ehre zu machen? Diese ist es, die alle meine Pläne mit dem Hauch ihres verfluchten Mundes zerbläst?«
Dann holte sie tief Atem, betrachtete die vor ihr Kniende mit höhnischen Blicken und stieß sie mit dem Fuße zurück, während Menes blaß, mit brennenden Augen der Entwicklung dieser Szene folgte, bis jetzt nicht fähig, tätigen Anteil daran zu nehmen.
»Liebe Kleine, wie gelang es dir, den Vogel in dein Netz zu locken?« kreischte die Rasende. »Tatest du spröde? Weintest du ihm täglich vor? Oder entzückte ihn deine Keckheit? Hat er dir versprochen, dich zum Weibe zu nehmen?«
»Hohe Frau, habt Geduld mit mir, ich will Euch alles sagen –« weinte sie.
»Ich frage, ob er dir versprochen hat, dich zum Weibe zu nehmen?«
»Gebieterin – ich habe –«
»Ich will Antwort!«
»O Menes, hilf mir – sie tötet mich –«
»Hat er dir das versprochen?«
»Er hat es – jedoch –«
»Er hat es? Ha! also er hat es wirklich? Sehr gut,« lachte nun Asso auf, ohne auf die Nähe dessen zu achten, von dem sie redete. »Soweit ging der Schwärmer? Der Knabe? Ich weiß in der Tat nicht, ob ich über diesen Einfall lachen oder ob ich dich und ihn ernsthaft zur Rechenschaft ziehen soll! Ich glaube fast, zwei Wahnsinnige vor mir zu sehen, mit welchen man Nachsicht haben muß.«
Menes hielt mit Gewalt an sich. Er preßte die Faust aufs Herz.
»Er hat es mir versprochen, hohe Frau, mich zu seinem Weibe zu nehmen,« sagte nun Myrrah mit etwas festerem Tone, »aber nie, nie werde ich eine solche Ehe annehmen. Ich weiß, daß ich sein Weib unmöglich werden kann! Ich weiß, daß es meine Abstammung verhindert, daß es überhaupt alle Umstände verbieten. Nie stand mein Wunsch so hoch, ihn zu besitzen, aber wenn Ihr mich fragt, ob ich ihn geliebt, dann muß ich sagen: Ja! sofern ich die Wahrheit sagen will! Und darin, hohe Frau, darin, daß ich ihn liebte, werdet Ihr doch wohl keine Schande für Eure Familie erblicken. Lebt wohl, hohe Frau! Lebe wohl, Menes! Ich verlasse diesen Ort und meide euch beide auf immer. Menes, nimm meinen innersten Dank für deine opferwillige Freundschaft, für den schönen, aber unmöglichen Plan, den du gehegt hast. Ich gehe, und mit mir weicht hoffentlich der Gegenstand der Zwietracht aus eurem Hause. Folge mir niemand nach!«
Sie ergriff mit zuckender Heftigkeit ihr Tuch, um sich zu entfernen, aber sie hatte noch nicht die Türe erreicht, als sie in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrach, und mit den gestammelten Worten: »Alles vorbei –« sank sie, den Kopf an den Türpfosten gelehnt, langsam zu Boden.
Soweit hatte sich Menes beherrscht, als er jedoch sein geliebtes Wesen so von Schmerz übermannt sah, kehrte er sich entrüstet zu seiner Mutter.
»Da sieh her, Erbarmungslose, was du getan,« rief er. »Steh' auf, gutes Kind. Sie soll dir nichts anhaben, solange ich in deiner Nähe bin! Stehe auf! Ich werde, ob sie gleich meine Mutter ist, nicht dulden, daß sie dich beleidigt.«
Asso erkämpfte ein Lächeln, das jedoch einem Grinsen der Wut täuschend ähnlich sah.
»Fängst du an,« sagte sie, »ihr beizustehen? Natürlich! Der eine Rebell unterstützt den anderen. Ich erinnere dich daran, daß ich die Herrin des Hauses bin und daß mir Mittel zu Gebote stehen, meinen Willen durchzusetzen.«
»Wenn dir an der Liebe deines Sohnes nur soviel gelegen ist, wie an der Liebe deines Haushundes,« entgegnete Menes, »so wirst du diese Mittel nicht in Anwendung bringen, sondern dich mit ihm in Ruhe zu verständigen suchen.«
»Mit einem Rasenden verständigen? Dein Verstand scheint bereits in eine solche Verwirrung geraten zu sein,
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