Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Nacken. Da konnte sich Menes nicht länger beherrschen. Ein kräftiger Stoß warf den ersten Herangekommenen zu Boden. Dann schritt er mit entschlossener Miene so dicht vor seine Mutter, daß diese unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.
»Mutter,« preßte er dumpf hervor, »beim großen Sonnengott beschwöre ich dich, reize meine Geduld nicht länger. Ich bin dein Sohn und habe dir seither stets gehorcht, hier aber gebietet mir die Pflicht und das Gefühl für Menschenrecht, deiner Hartherzigkeit Einhalt zu tun. Wenn du aus Liebe zu mir solche Grausamkeit begehen willst, muß ich dir versichern, daß ich alsdann deine Liebe herzlich gern entbehre, deine Liebe, von der ich bis zu diesem Augenblick eben nicht viel zu sagen weiß. Kein Gott und kein Mensch wagt Hand an dieses Kind zu legen, und nimmst du deinen unmenschlichen Befehl nicht sogleich zurück, so vergesse ich, wen ich vor mir habe.«
Diese entschlossenen Worte trieben der Mutter eine Blässe auf die Wangen, von der man nicht sagen könnte, ob sie Furcht oder Wut bedeutete. Nach einigem Zögern winkte sie den Sklaven, abzulassen. Gleich darauf zwang sie ihren Zügen ein mühsames Lächeln ab.
»Du weißt, mein Sohn,« begann sie schüchtern, »daß ich keinen anderen Wunsch im Herzen nähre, als dich glücklich und mächtig zu sehen. Diesem Wunsch schreibe es zu, wenn ich im Augenblick mich zu einer allerdings unschönen Handlung hinreißen ließ.«
Menes atmete auf.
»Es freut mich,« sagte er, »daß du dich selbst richtig beurteilst.«
Man sah nun ihren Zügen an, wie sie bestrebt waren, einen immer zutraulicheren Ausdruck anzunehmen. Sie schien das eben Vorgefallene als einen kleinen Scherz hinstellen zu wollen, und gab zu verstehen, daß sie die Prüfung des Mädchens nicht bis zu tatsächlicher Körperstrafe fortgesetzt haben würde.
Mitunter jedoch entfuhr ihrem freundlichen Auge ein versteckter Zornblick, der alle ihre schönen Worte, ihre glatten Bewegungen Lüge strafte.
»Möglich, daß ich mich täusche, mein Kind,« sprach alsdann die korpulente Dame mit gewinnender Liebenswürdigkeit, ihre Hand auf ihres Sohnes Arm legend. »Dies Mädchen ist vielleicht nicht so schlimm von Charakter, als ich argwöhnte; vielleicht sogar besitzt sie alle Tugenden, welche du an ihr wahrnimmst, ich gebe es freudig zu. Jedoch mußt du mir erlauben, noch so lange einen gelinden Zweifel zu hegen, bis ich durch eine mehrmonatliche Beobachtung auch mein Herz von den Tugenden überzeugt habe, die das deine an diesem Mädchen entdeckt. Diese Zweifel, hoffe ich, werden bald zerstreut sein; jetzt bestehen sie freilich noch, aber, wenn du sicher auf den Charakter deiner Geliebten bauen kannst, so überlasse sie mir, ich will sie in die Schar meiner Dienerinnen aufnehmen. Stimmt das mit deinen Wünschen überein?«
Hierauf lächelte sie süß zu dem Jüngling empor, der keinen Augenblick an der Aufrichtigkeit ihres Rates zweifelte. Was sollte er befürchten? Konnte er nicht den Göttern danken, wenn Myrrah eine gute Versorgung erhielt? Und wenn sie die Probe bestand, war es nicht möglich, daß Asso dieses Verhältnis mit immer günstigeren Augen ansah? Daß sie schließlich, gerührt von der Liebenswürdigkeit des Mädchens, keinen Anstand mehr nahm, die Verbindung zu segnen?
»Du besinnst dich, mein Sohn?« frug die Witwe.
»Nein,« erwiderte er, »ich gebe meine Einwilligung. Dieser edle Entschluß zeigt mir dein mütterliches Herz, zeigt mir dein schönes Wohlwollen. Nichts wünsche ich sehnlicher, als daß du die Vorzüge dieses Mädchencharakters kennen lernen mögest, damit du dein Urteil so bald wie möglich änderst.«
»Wenn sie sich so zeigt,« flüsterte Asso, »wie du von ihr denkst, wollen wir sehen, was sich weiter tun läßt. Ich will ihr eine Mutter werden und euer Glück soll in mir kein Hindernis finden, jedoch –«
Menes hatte, als er diese Worte vernahm, seiner Mutter Hand ergriffen.
»Ja,« fuhr diese fort, »ich werde eurer Vereinigung alsdann nicht länger im Wege stehen, jedoch solange ich sie prüfe, deine kleine Braut, muß ich – ich bin es ihr schuldig – auch deine Liebe auf eine Probe stellen.«
»Das ist nicht mehr wie recht und billig,« sagte Menes, »sprich, gute Mutter! Ich scheue keine Prüfung, ich unterwerfe mich einer jeden, die du mir auferlegst.«
»Habt ihr euch beide,« fuhr Asso fort, »längere Zeit nicht gesehen, so werdet ihr über euere Neigung am klarsten werden. Die Zeit ist der beste Prüfstein der
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