Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
flüsterte sie den schönen Kopf niederbeugend und mit der Hand nervös an der Sophaquaste spielend.
»Dann . . .« fuhr er mit weicher Stimme fort, »steht es mir ja frei eine neue Ehe einzugehen.«
»Ach so!« nickte sie sehr betreten.
Nach einer längeren Pause, in der man nur die alte Wanduhr ticken hörte, faßte er ihre mit der Quaste spielende weiße Hand.
»Emma!« Das klang gar nicht schulmeisterlich. Doch entbehrte die Art mit der er sie jetzt langsam aber sicher an seine Brust zog, entschieden nicht einer gewissen pedantischen Würde. Auch sein Kuß trug einen keinen Widerspruch duldenden Charakter schulmeisterlicher Herrscherlaune.
Überhaupt waren seine Zärtlichkeiten gemessen, ehrenmannhaft ernst. Man sah seiner Verliebtheit an, oder sollte ihr wenigstens ansehen, daß sie aus beamtenhaft sittlicher Grundlage aufwuchs. Hier erlebte man keinen äußerlichen Sturm der Leidenschaft, keine flatterhafte Sinnengier. Der Lavastrom seiner Sinne floß mit christlich-germanischer Würde, mit präzeptoraler Erhabenheit dahin. Doch hatte Emma den Eindruck, als ob hinter dieser imposanten Strenge eine stille, gut versteckte Lüsternheit lauschte.
Was sie selbst anlangte, so mußte sie sich gestehen, daß sie den in vieler Hinsicht so naiven Mann, wenn er auch bereits fünfzig Jahre alt war, aufrichtig liebte. Sie liebte an ihm auch den etwas ans Komische streifenden Zug zum Steif-Würdevollen, das er dann wieder in einer weltmännischen Grazie ungeschickt zu verbergen suchte. Die Art seiner Zärtlichkeitsbeweise nötigte ihr oft jenes heimliche Lächeln ab, das gescheidte Frauen für die Schwächen geliebter Männer in Bereitschaft haben. Es erregte ihre Eitelkeit seiner schulmeisterlichen Würde kleine Niederlagen beizubringen.
Peter, der Kater, saß auf dem Sofarand und schaute mit Verwunderung zu, wie seine Herrin die Küsse eines Herrn erwiderte.
Hätte er reden können, so hätte er vielleicht mit seinem Lächeln des Mephistopheles Worte wiederholt: »Hab ich doch meine Freude dran!« Dann kratzte er sich sein graues Fell, daß die Haare stoben, eilte rasch davon ins Freie und schien zu denken: tout comme chez nous!
*
Katharina wohnte seit ihrem Abgange aus dem Haus des Direktors bei ihrem fast achtzigjährigen Vater, einige Straßen weiter nach der Stadt zu. Sie fühlte sich in mancher Hinsicht wohler als früher, da sie sich nun ungestört ihren Liebhabereien hingeben konnte. Monatlich erhielt sie von ihrem ehelichen Versorger hundertundfünfzig Mark; im übrigen verspürte sie kein Heimweh nach ihrem Gatten, wie er es doch ab und zu nach ihr empfunden hatte. Sie fühlte sich gekränkt, beleidigt; ja sie sann, da sie einer sehr impulsive, auf ihre Fähigkeiten stolze Natur war, im Stillen auf Rache. Sie hatte ihm, wie sie glaubte, so gar viel zu verzeihen; er verstand sie nicht, er war ein Egoist, ein eingebildeter Schulmeister. Sie gehörte zu jenen Naturen, bei denen, wenn ihr geistiger Hochmut einmal verletzt wird, sich nicht gleich, sondern erst allmählich, ein Haß entwickelt, der gerade, weil er langsam wächst, mit der Zeit zu einem Riesen sich auswächst. Alle die Demütigungen, die sie sich hatte von ihrem Adolf gefallen lassen müssen, zerlegte sie sich nun in ihre Bestandteile, sezierte jede Stimmung, analysierte jedes böse Wort, jeden Blick, jede Geste. So ward er ihr jetzt erst recht verhaßt und sie suchte auch ihre Söhne, die vorläufig noch bei dem Vater wohnten, mit diesem Haß anzustecken.
Als Karl sie zum erstenmal nach der Trennung besuchte, konnte er nur mit Mühe seine Tränen zurückhalten. Auch sie war tiefbewegt, umarmte ihr Kind und brach schließlich in erleichternde Tränen aus. Die Mutter allein, einsam, gleichsam verstoßen! Der Gedanke erweckte im Gemüt Karls alle schlafenden Dämonen der Erbitterung.
»Besser als im Irrenhaus!« sagte sie, als der Sohn sie fragte: ob sie denn dies Leben ertrage? »Und dahin hätten mich die Beiden gewiß noch gebracht!«
Karl meinte zwar, das wäre nicht möglich gewesen; wenn sie aber nichts entbehre, wenn sie sich in dieser Einsamkeit wohl fühle, müsse er die Trennung als ein Glück für sie betrachten.
»Ja, ich halte die Trennung von ihm für ein Glück,« versetzte sie. »Und doch ist in mir der Mensch, die Schriftstellerin, vor allem das Weib, die Mutter, so tief beleidigt, daß ich unbedingt noch auf Erden die Bestrafung dieses Egoisten erwarte. Ich bin ja sonst nicht rachsüchtig, – in diesem Falle kann ich nicht
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