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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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verlassen, ohne die Geliebte gesprochen zu haben. Als er das heute tat, erblickte er sie am großen Fenster, das auf die Vorhalle hinausführte. Sie malte. Verschwommen durch die Glasscheiben schimmernd leuchteten ihm zwei Köpfe entgegen, – antike Köpfe mit langen Hälsen, übergroßen Augen. Die Künstlerin bemerkte ihren stillen Beobachter nicht, der ihr, in das dichte vergilbte Weinlaub geduckt, wohl zehn Minuten lang zusah. Er wußte, daß sie zuweilen Kopien für Kunsthandlungen anfertigte und zerbrach sich deshalb nicht weiter den Kopf, aus welchem Grunde sie gerade altgriechische Charakterköpfe malte. Neben ihrem Stuhle lag ein einfarbiges Original, – mehr konnte er nicht sehen. Wahrscheinlich, dachte er, will sie sich durch diese Kopie für ihren altgriechischen Roman Sokrates begeistern! sie ist wirklich ein kleiner weiblicher Michel Angelo; sie könnte in der Malerei beinah gerade so Gutes leisten wie in der Dichtkunst. Allerdings zum wahrhaft Großen und Vorzüglichen, das fühlte er, reichte ihr Talent in beiden Künsten nicht aus; es blieb achtbares Mittelgut. Nun ward es dunkler. Die Malerin erhob sich, um ihre Farben einzupacken, Karl schlich sich auf einem kleinen Umweg vom Fenster hinweg, zur Vorhalle hinaus. Seine Sehnsucht war stärker als je in ihm erwacht.
    In der folgenden Nacht konnte Karl nicht schlafen. Unruhig wälzte er sich im Bett. Er wußte, daß sein Vater im Pult Emma Dorns Romanmanuskript liegen hatte, um es durchzukorrigieren. Diese Blätter ließen ihm keine Ruhe mehr. Es wahr ihm als konzentriere sich Emmas ganze Seele in diesem Werk; der Drang erwachte in ihm, das Manuskript zu sehen, zu befühlen, zu lesen, an die Lippen zu drücken. Er erhob sich und schlich sich scheu, wie ein Dieb, aus dem Zimmer.
    Er begriff sich selbst nicht, es schien ihm, als ob er in einem somnambulen Zustand gegen seinen Willen handle. Heute abend war Emma beim Vater gewesen. Karl hatte mit ihr am Tisch gesessen und hatte sehen müssen, wie ihr seines geistreiches Lächeln, wie der einschmeichelnde Zauberklang ihrer Stimme dem Vater galt! Ihn beachtete sie nur wenig, höchstens, daß sie ihm zuweilen einen mütterlich-gönnerhaften Blick zuwarf. Aus diesem Blick las der Jüngling eine leise Gefallsucht, einen leisen Triumph. Es war ihm vorgekommen, als ob in ihrem Aug ein süßes Bedauern, ein schmerzliches Mitleid aufdämmerte, durch das sie aber seine Liebesglut eher hätte verstärken, als abschwächen wollen. Und dieses kokette Mitleid, das er aus ihrem Auge las, flößte ihm beinahe ein wenig Haß ein. Er war ganz erstaunt über dies Gemisch von Liebe und Haß in seinem Busen und hätte es nicht für möglich gehalten, daß diese sich widerstreitenden Empfindungen sich doch so innig durchdringen können, wenn er es jetzt nicht in der eigenen Seele erlebt hätte.
    Nun stand er mit klopfendem Herzen, notdürftig bekleidet, vor der Zimmertüre. Sollte er öffnen? Leise hob er die zitternde Hand, leise drückte er die Türklinke nieder. Die Türe ging geräuschlos auf, er befand sich im Arbeitszimmer des Vaters. Aus den durchsichtigen Glimmerglasblättchen des amerikanischen Ofens lugte ein wenig rote Glut und warf einen behaglichen Purpurstreifen weit über den bunten Teppich bis an den großen Schreibpult. Karl tastete sich bis an den Pult und zog langsam die unterste linke Schublade heraus. Er wußte: dort lag das Manuskript. Gleich erkannte er den blauen Umschlag. Er ergriff das Heft und trat ans Fenster, um die Aufschrift beim Schimmer des Mondlichts zu entziffern.
    Was willst du eigentlich? fragte er sich. Ein Kunstwerk zerstören? Bist du ein Vandale? Nein, das brachte er nicht übers Herz, obgleich sich in seine Liebe zu ihr das bittere Gefühl der Zurücksetzung mischte, das herzzernagende Gefühl, als ob sie ihn im Stillen – belächele, ihn für einen grünen Jungen halte. Er drückte das Heft an die Lippen, er benetzte es mit seinen Tränen, er wollte die Blätter mitnehmen, um sie unter sein Kopfkissen zu legen. Dann faßte ihn wieder eine grimmige Wut. Er schleuderte das Heft zu Boden, hob es wieder auf und wollte es in die glühenden Kohlen des Ofens schleudern.
    Plötzlich hörte er ein Geräusch wie von Schritten im Nebenzimmer. Er blieb stehen. Ja! – dort näherten sich knarrende Schritte der Türe. Nun schlüpfte er rasch hinter die breite gelbe Gardine des Fensters. Jetzt ward die Tür etwa zwei Finger breit geöffnet . . . . rötlichgelber Lampenschimmer quoll ins

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