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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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anders. Es muß eine Vergeltung auf Erden geben! ich muß ihn demütigen!«
    »Nicht rächen, Mama!« wendete Karl beklommen ein. »Rache ist immer gemein.«
    »Nein«, fuhr sie erregt fort, »Strafe ist notwendig! Gott selbst rächt die Übeltat; aber durch wen? Durch seine Menschen. Seien wir seine Werkzeuge. Daß er die Andre schöner findet als mich, – ach! das nehme ich ihm gar nicht übel! deshalb streb ich nicht nach Rache. Es liegen ganz andere tiefere Gründe vor. Aber siehst du, – wir wollen ihn gerade durch die Andre strafen. Das ist der wunde Punkt an ihm, seine Achillesferse. Hier packen wir ihn. Ich flehe dich an, liebes Kind, beobachte ihn, gib mir Nachricht, ob er, wie oft er mit Emma zusammenkommt; wo er mit ihr zusammenkommt. Wir sind nur getrennt, – ich willige nie in eine Scheidung . Kann ich ihm nur den geringsten Fehltritt nachweisen, so stell ich Strafantrag wegen Ehebruchs.«
    »Ich begreife deinen Gemütszustand, liebe Mama«, sagte Karl ablehnend und dennoch von dieser bösartigen Rachsucht wider Willen angesteckt. »Aber es widerstrebt mir als Kind, den eigenen Vater auszuspionieren. Überlaß ihn seinem Schicksal.«
    Katharina wendete sich mismutig ihren Götheschriften zu. Karls Mund hatte übrigens anders gesprochen, als sein Herz. Freilich hielt er die Rache für gemein, aber trotzdem erwachte in seiner Brust das leise Streben nach Rache. Freilich mochte er als Kind den Vater nicht denunziren; aber hätte sich die Gelegenheit geboten, – er hätte vielleicht, wenn auch nach innerem Kampf, sie benutzt. Er belog sich selbst und die Mutter; wußte auch, daß er dies tat, und war sehr unglücklich darüber. Seine geheime Triebfeder war ganz dieselbe wie die seiner Mutter, – die Eifersucht! Nur, daß jede dieser beiden Eifersüchte einen anderen Weg ging. Hier begegneten sich Beide, doch wußte es nur der Sohn. Als Karl bemerkte, daß seine Mutter nicht ganz mit ihm zufrieden war, daß sie erwartet hatte, er werde viel schneidiger als Verteidiger der Mutter auftreten, trat ihm noch deutlicher als vorher das Häßliche des Hasses, das Niedrige der Rache, das Suchtartige der Eifersucht ins Bewußtsein. Er fühlte, daß er seine Mutter nicht mehr recht achten konnte. Es trat im Gespräch eine Pause ein. Sie war verlegen, er niedergedrückt.
    »Nun«, sagte er endlich verstimmt, »ich will sehen, was sich tun läßt.«
    »Es ist ja nicht schön von mir,« versetzte sie, »das Kind gegen den Vater zu hetzen, – verzeih mir! Trotzdem hätt ich von dir erwartet, daß du wärmer meine Partei ergreifst!«
    »Ich fühle ja, daß man dir zu nahe getreten ist,« räumte er ein. »Laß mir nur Zeit. Er hat ja auch mich nie verstanden! Ich unternehme gewiß nichts gegen ihn, aber . . . genug!! Leb wohl, Mama!«
    Er umarmte sie, die wiederum in Tränen ausbrach und verließ dann sehr niedergeschlagen das Zimmer.
    Als er durch die dämmernden Straßen wandelte, dachte er über den menschlichen Charakter nach. Es ist doch wahrhaft entsetzlich, sagte er zu sich, daß selbst die Besten Schwächen und Fehler haben, daß Keiner ein durchaus edles Vorbild bietet. »Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.« Am traurigsten ists, wenn das Kind im Charakter seiner Eltern Fehler entdeckt. Es wäre endlich an der Zeit, daß wir eine Religion fänden, die die Menschen tatsächlich bessert! Das Christentum hat darin nichts geleistet, es verschleiert nur die Sünden und verzeiht sie. Wir brauchen eine Weltanschauung, die die Moral aus einer völlig natürlichen, ja naturwissenschaftlichen Grundlage aufbaut. Wir müssen das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens von Jugend auf – von Jugend auf! so tief beeinflussen, daß es sich in den Kindern so nicht mehr weiter erben kann! Der Christ strebt tugendhaft zu handeln, weil es ihm Gott so vorschreibt; der wahre Gottsucher müßte unabhängig von einem äußeren Befehl, tugendhaft handeln, aus innerer Überzeugung. Wir müßten mathematisch beweisen können, daß schlecht zu handeln – dumm ist, gut zu handeln – klug.
    Noch ehe er seine Grundsätze völlig zu Ende gedacht hatte, merkte er, daß seine Füße dem Zug seines Herzens gefolgt waren, – er befand sich in der Nähe von Emmas Wohnung.
    In Karls Gewohnheit lag es, zuweilen das kleine Gartenhäuschen – nicht zu besuchen, sondern – nur sehnsüchtig zu umschleichen, den Kopf zu recken, einen Blick durchs Fenster zu werfen und dann, den Garten wieder zu

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