Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
wahr,« schluchzte sie, »unsre häuslichen Verhältnisse? o Gott ja! Ich denk aber, nun wird alles, alles besser.«
»Nun? besser? durch wen?«
»Durch Fräulein Dorn.«
»Besser? Ich denk: im Gegenteil!«
»Nein!« sagte sie, »der Papa ist durch Fräulein Dorn ein anderer Mensch geworden. Er ist auch gegen mich verträglicher. Du hättest nur sehen sollen, mit welcher Ritterlichkeit er sie die Treppe hinunter führte. Ich mußte lächeln.«
»Lächeln? Arme Mama!«
Sie sah ihn verblüfft an. »Du meinst, er hege eine Neigung für das Mädchen? Sieh, Karl, das wäre vielleicht die beste Lösung der Frage!«
Er blickte erschrocken. »Wieso?«
»Warum nicht?« sagte sie ruhig sinnend mit einem Anflug von Bitterkeit. »Er wird mir vielleicht sogar selbst den Vorschlag machen: wir wollen uns trennen!«
»Glaubst du, daß er auf eine Scheidung eingeht?« fragte er beklommen.
Plötzlich flammte ihr Auge wie im Zorn groß auf; dann füllte sichs mit Tränen.
»Das ist nun mein Dank!« flüsterte sie erbittert. »Doch nur Geduld! Laß dir nichts anmerken, Karl! auch ich werde mich verstellen und tun, als sei ich mit Allem einverstanden. Er soll in eine Falle gehen.«
Sie hatte die letzten Worte mit einer solch dämonischen Entrüstung hervorgepreßt, daß der Sohn sie tief erschüttert anstarrte. Der Haß seiner Mutter war ja noch gründlicher als der seine! Dabei ihre Unberechenbarkeit: vorher noch ganz einverstanden mit ihres Gatten Neigung; nun plötzlich empört! Er verstand die Mutter wohl, er bemitleidete sie und empfand in ihrer Nähe eine unsagbare Angst.
Nun ward sie wieder sanft und ruhig. Sie erhob sich und umarmte den Sohn. »Wir ziehen dann zusammen,« sagte sie. »Ich brauche dann nicht ewig Angst zu haben, daß er mich für geisteskrank erklärt. Ich kann mich in aller Stille meiner Wissenschaft widmen. O, wir führen dann jedenfalls ein glücklicheres Leben als jetzt!«
Sie ging und ließ den Sohn im Zimmer in einer sehr gedrückten Stimmung zurück. Im Anfang kam es ihm vor, als stürze das ganze Haus auf ihn nieder; eine Ehescheidung schien ihm ein großes Unglück. Dann beruhigte er sich ein wenig. Vielleicht war ihr Leben so am Besten; die Mutter hatte recht.
Er trat ans Fenster und blickte in die Nacht auf den stillen Hausgarten hinaus. Er dachte an den Vater. Warum ist dirs unmöglich ihn zu lieben? fragte er sich. Schon die Gestalt seines Vaters, seine etwas vordringenden Augen, die hinter den Brillengläsern wie Lockspitzel hervorfunkelten, seine beinahe stutzerhaft jugendliche Kleidung, das beständige Spielen der linken Hand an der goldenen Uhrkette, das alles war ihm deshalb so widerwärtig, weil es ihn zu sehr an seine eigene Gestalt, sein eigenes Gehaben erinnerte. Er erkannte seine eigenen Schwächen hier wie in einem Hohlspiegel verzerrt wieder, so daß seine überfeine Selbstkritik in Selbstverachtung überging.
Wie steht es, fragte er sich in bang bewegter Seele, mit deinem Suchen nach dem Absoluten? Ist Gott nicht bloß die Liebe? – auch der Haß? Der Gott des alten und neuen Testaments ist freilich auch ein Gott des Zornes und des Hasses! Lebt dieser Gott auch in dir?
Ein Grauen vor sich selbst schüttelte ihn, während sich seine Phantasie die Weltseele als ein Ungeheuer vorzustellen suchte, das sich selbst quält und sein Geschaffenes haßt – und angstvoll nach Erlösung strebt. Wer sollte es erlösen? Das Geschöpf den Schöpfer? Und deshalb – sollen wir sittlich leben?
Ein Ekel vor allen Körperlichen im Menschendasein überdrang ihn. Wie widerwärtig das war, daß wir aus dem Fleisch eines anderen Wesens stammen, daß wir nicht Geisteswesen für uns selbst sein können, sondern die niederen Spuren unserer Entstehungsgeschichte mitschleppen müssen.
Tiefe Stille herrschte im Haus. Jetzt surrte noch einmal oben bei Meyers die Wasserleitung. Plötzlich schoß dem jungen Studenten ein sonderbarer Einfall durchs Hirn. Vielleicht gäbs eine Kur gegen deinen Haß? Sieh ihn im Schlaf daliegen! Dann wird gewiß deine Eifersucht einem tiefen Mitleid Platz machen. Er zog die Stiefel aus und schlich sich auf den dunkeln Vorplatz. Jetzt stand er an der Schlafzimmertür . . . Jetzt drückte er leise mit klopfendem Herzen die Klinke nieder, die Tür ging auf. Er war selbst gespannt auf den Eindruck, den dies Bild auf seine Phantasie machen werde.
Da standen die beiden Betten dicht nebeneinander. Der Mond schielte durch den Vorhang am Fenster mit seiner überwachten
Weitere Kostenlose Bücher