Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
»Ich trete zurück, ja; wir trennen uns. Aber scheiden laß ich mich nicht.«
Er sah sie betreten an. Dann senkte er ergeben den Kopf.
»Nein,« fuhr sie bitter lächelnd fort; »diese kleine Rache mußt du mir schon lassen. Es ist ja wohl schon eine Erleichterung für dich, die Irrenhauskandidatin nicht mehr in deiner Nähe zu haben?«
Er seufzte. »Man fügt sich ganz deinem Wunsche!« sagte er mit präzeptoraler Würde.
»Und hofft im Stillen, ich würde später doch noch in die Scheidung willigen?« fragte sie spöttisch.
»Es ist nicht in Abrede zu ziehen, daß man auch daran denken könnte. Doch sei dem wie ihm wolle, – man fügt sich in die Umstände.«
»Man ist zufrieden mit dem Sperling in der Hand?« setzte sie ironisch hinzu. »Wenn man den Storch auf den Dach nicht haben kann.«
Er seufzte melancholisch lächelnd. Sie wendete sich ihrem Schreibpult zu und er entfernte sich. Er war zufrieden; denn er empfand es wirklich als große Erleichterung, die ewigen häuslichen Unbequemlichkeiten und Fehden los zu sein.
Katharina zog schon am andern Tag aus dem Haus; er nahm in ganz freundlicher Weise von ihr Abschied.
Bevor sie hinabging, sagte sie: »Unsere Ehe hat der Schöpfer nur deshalb veranlaßt, um der Welt talentvolle Kinder zu schenken. Auf uns, die Eltern, nahm er gar keine Rücksicht.«
»Du bist eine Philosophin!« schmeichelte er ihr.
»Keine Halbverrückte mehr?« lächelte sie vorwurfsvoll.
Körn fuhr sich über die Augen. Katharinas Augen blieben trocken, aber sie hatten den eigentümlich starren Ausdruck niedergekämpften Herzeleids.
»Ich tauge überhaupt nicht zur Ehe«, sagte er, während er sie die Treppe herab an den Wagen führte. »Ich bin eine Gelehrtennatur; ich sollte immer für mich allein hausen.«
»Ich ebenfalls«, entgegnete sie und stieg in die Droschke.
Karl und Eduard begleiteten die Mutter in ihre neue Wohnung. Körn aber rief dem abfahrenden mit Schachteln und Koffern beladenen Wagen nach: »Im übrigen bleiben wir Freunde?« Ihre Antwort ward vom Gerassel der Räder verschlungen.
Als der Direktor in seine einsamen Zimmer zurückkehrte, befand er sich in einer seltsamen Stimmung. Sein Herz war freudig bewegt, er war frei!! frei von einer entsetzlichen Fessel. Doch schlich sich ihm in diese Freude das quälende Gefühl, ein Unrecht begangen zu haben. Erst als er sich in seine Schulhefte vertieft hatte, verschwanden diese leichten Gewissensbisse. Seine Wohnung kam ihm indessen auf einmal außerordentlich öde vor. Einmal passirte es ihm sogar, daß er, während er in seinen Heften herumwühlte, nach Katharina rief. Er errötete, als ihm nun erst wieder ins Bewußtsein trat, daß sie ja nicht mehr hier weilte. Manchmal glaubte er, er müsse ihre pathetische Stimme hören.
In der Nacht träumte er von ihr: Sämtliche Wohnräume stellten die Sintflut dar; Katharina fuhr auf einem Besenstil mitten durch das Wasser, das mit unendlichem Rauschen aus der Badewanne stürzte; kleine Meerungeheuer umschwammen sie schäckernd. Entsetzlich, entsetzlich! dachte er im Traum; ich bin ein geschlagener Mann, ich muß diese Fessel bis ins Grab mit mir schleppen! Da spritzte ihm die Keifende Wasser ins Gesicht – er erwachte. O Gott! seufzte er; kann ich denn nie von ihr los kommen? Er lauschte, ob er nicht ihr altgewohntes Schnarchen vernehme, ob sie nicht, wie sonst, sich im Bette hin und herwerfe? Nichts dergleichen. Alles blieb still. Er schielte aufs andere Bett hinüber . . . Wie?! er sah im Mondlicht, daß es ja gar nicht aufgedeckt war. Jetzt erst durchzuckte ihn ein Freudeblitz! Du bist ja befreit! Sie kommt ja nicht wieder! Dann schlief er wonnetrunken von neuem ein.
Solche Zustände hatte er noch oft. Wenn er von der Schule nach Hause kam, begleitete ihn das peinliche Gefühl: jetzt wartet sie wieder auf mich! Dann mußte er über diese Zerstreutheit lächeln.
Erst nach ungefähr einer Woche besuchte er zwischen Licht und Dunkel Emma Dorn. Sie war allein, Luise war ausgegangen. Er saß neben ihr auf dem Sopha.
»Ich hätts nicht länger ausgehalten in dieser Ehe!« sagte er. »Ihnen darf ich ja alles anvertrauen! Ich bin ein anderer Mensch geworden, das Leben hat wieder Reiz für mich. Ich sehe in die Zukunft wie ein Jüngling im wunderschönen Monat Mai!«
»In welche Zukunft?« fragte sie beklommen. »Was erwarten Sie noch vom Leben?«
»Noch viel!« entgegnete er. »Ich hoffe, daß meine Frau doch in eine Scheidung willigt. Dann . . .«
»Dann?«
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