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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Arbeitszimmer. Von seinem Versteck aus erkannte er seinen Vater, der im grünen Schlafrock aus dem Schlafzimmer kam. War das nur ein Traum? Des Vaters Lippen umschwebte ein zärtliches Lächeln, dasselbe jugendlich-galante Lächeln, das ihm schon während des ganzen Abends am Teetisch die schulmeisterliche Würde geraubt hatte. Karl hatte da mit Erstaunen bemerkt, daß sein Papa genau dieselben Menschlichkeiten unter seiner präzeptoralen Maske verbarg, wie die Andern; sein Erzeuger war durch diese »Schwächen« – so wars der Jüngling zu nennen gelehrt worden und so nannte ers – noch einige Zoll in seiner Achtung gesunken, denn seiner naiven Anschauung nach mußte ein gereifter Mann der Wissenschaft über solche Anwandlungen erhaben sein.
    Jetzt kam der Direktor, die kleine Nachtlampe in der Hand, näher. Er schritt an ihm vorbei, nach dem Salon zu. Was hatte er dort zu tun? Warum lächelte er so geheimnisvoll? Karl schlüpfte hinter der Gardine heraus, dem Vater nach in das Eßzimmer. Dort blieb er an der Türe des Salons lauschend stehen. Horch – eine leise weibliche Stimme! Die Stimme Emmas? Karl hatte doch geglaubt, sie sei etwa um zehn Uhr gegangen! Allerdings erinnerte er sich, daß der Vater davon gesprochen; es regne in Strömen, sie solle noch warten. Also hatte sie offenbar dem Rat des Vaters gefolgt, hatte sich überreden lassen die Nacht hier zuzubringen auf dem Divan des Salons!
    Karl bebte am ganzen Körper, als er jetzt zu hören glaubte, daß der Vater die Lampe auf den Tisch stellte. Horch! Zärtliches Geflüster?! Karl sah und hörte nichts mehr; ihm war als sänke er in dunkelgrünen Wellen unter, er rang nach Atem, er taumelte gegen den Türpfosten. Mitten in diesem sinnverwirrenden Rausch tauchten plötzlich rote Flecken in seinem Geist auf, – die roten Tintenflecken, die er einst . . . wie Blut . . . hatte von des Vaters Pult fließen sehen. Er taumelte auf, eilte ans Fenster. Dort vom Garten des Regierungsgebäudes, das über der Straße lag, grillte jetzt häßliches Katzengejammer herüber, ein klägliches Gewimmer! . . . dann wieder tiefe nächtliche Stille . . . .. Aber was war das? auch hier an der Fensterscheibe rannen diese widerlichen roten Tropfen herunter? Er suchte sich vorzulügen, es seien Tintenflecken; seine Phantasie aber sah – Blut! Er bebte, schlüpfte wieder ins Dunkel des Zimmers zurück. Wieder dies jammervolle Katzengestöhne! oder war es Säuglingsgewimmer? Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon hier war; nun schlug eine Uhr mit ruhigem, edlem Ton, – er wollte zählen . . . er verwirrte sich. Du solltest wieder zu Bett gehen, dachte er; ging aber nicht, sondern malte sich in überhitzter Phantasie aus, wie sein Vater gegen Emma zärtlich war. Ein wilder Krampf zog sein ganzes Inneres jäh zusammen.
    Jetzt kam der Direktor wieder, sorgsam alle Türen verschließend, die Lampe in der Hand, zurück. Karl hätte sich verbergen können, aber er tat es nicht, ein dämonischer Trotz hielt ihn mitten im Zimmer fest. »Du bist ein Übermensch!« raunte ihm eine Stimme zu; »bäume dich auf gegen dein Schicksal!«
    Der Direktor schlurfte näher, diesmal ein noch innigeres Lächeln um die Lippen. Wie kleinlich kam er dem Sohn jetzt vor; das war ja ein Heuchler, der öffentlich Tugend predigte . . .! Sein alter Haß gährte mit erneuter Gewalt aus. Er blieb stehen, – sein Vater stieß fast auf ihn.
    »Du?« stotterte er. »Was sucht man hier? warum ist man nicht im Bett?«
    »Ja, warum ist man nicht im Bett?« gab der Sohn höhnisch zurück.
    Diese Antwort entfachte des Vaters helle Entrüstung. Er stellte die Lampe auf den Pult. Nun entdeckte er auch in der Hand des Sohnes das Romanmanuskript.
    »Wie kommst du dazu?!« fragte er. »Gib das Heft her!« Er griff danach, – der Sohn schleuderte das Heft weit von sich zu Boden.
    »Infamer Junge!« knirschte Körn und versetzte dem Sohn eine schallende Ohrfeige.
    Dieser Schlag wirkte wie eine Erlösung. Mit einem Ächzen, als wälze sich ein Alp von seiner Brust, packte er den Vater am Hals und schleuderte den Überraschten mit aller Gewalt gegen den eisernen Ofen. Ein metallner Krach! – dann Stille! Karl wachte aus dem entsetzlichen Traum, der ihn bisher geknebelt, auf. Der schwere Ofen war durch den Anprall des Körpers zur Seite gewichen . . . Dort an der rechten Ecke des Ofens hatte ein Mensch gehangen, der jetzt langsam herunterrutschte ins Zimmer. Der Ofen zischte, – es roch nach

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