Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Leidensmiene und warf sein träumerisch blaues Glanzgeheimnis über die maskenhaften Gesichter der Schlafenden. Der Direktor schnarchte ein wenig. Seine Nase ragte aus dem Schatten spitz in die Höhe. Er schien selbst im Schlaf seine schulmeisterliche Würde noch retten zu wollen; seine Mundwinkel waren streng nach abwärts gespannt; es war, als wenn er eben mit entrüstetem Pathos sagen wollte: »Man setze sich! man hat wieder einmal nichts gelernt!« Die Mutter atmete ruhig; sie seufzte einmal traurig, ihre Hand zuckte über die Bettdecke; vielleicht träumte sie, sie schreibe an ihrem Göthebuch.
Durch Karls müdes Hirn strömten allerlei träumerische Gedanken. Haben die Theosophen recht, die hinter unserem Fleischkörper noch einen Geistkörper wittern? Warum merken wir dann aber im Schlaf nichts davon?
Nun dämmerten Jugenderinnerungen in seiner Seele auf. Weißt du noch, rief es in ihm, wie dich dein Vater mitnahm in den Wald? dich auf die Naturschönheiten so liebevoll aufmerksam machte? war das keine Liebe? Das war weiter nichts als der Stolz einen Sohn zu haben! belog sich sein Haß. So lange du noch seine Puppe, sein Spielzeug warst, – ja! da liebte er dich. Sobald du aber anfingst selbständig zu denken, da warst du ihm unbequem, da solltest du genau so denken und fühlen wie er!
Langsam drehte er sich um und verließ das mondscheinhelle Schlafzimmer.
20.
Es war etwa eine Woche vergangen. Rascher als Karl erwartet hatte, erfolgte zwischen Herrn und Frau Körn eine entscheidende Aussprache.
»Du mußt selbst gestehen, Katharina,« sagte der Direktor eines Abends, als er sich am Ofen die Finger wärmte, »daß wir uns gegenseitig nur unglücklich machen.«
»Glücklich jedenfalls nicht!« meinte sie ironisch.
»Und wir haben beide noch ein Recht auf Glück.«
»Ich habe mit dem Leben abgeschlossen,« versetzte sie, »ich erwarte nichts mehr.«
»Warum?« fragte er beklommen. »Dein Verstand, deine Bildung berechtigen dich noch Anforderungen an das Leben zu stellen.«
»Wie meinst du das?«
»Würdest du dich nicht glücklicher fühlen, wenn . . . nun, wie sag ich gleich? wenn du dich ganz deinen Forschungen hingeben könntest?«
»Gewissermaßen . . . allein? ohne dich?« fragte sie.
»Ohne, daß dir irgendwer drein zu reden hätte.«
»O ja! Du kommst mir entgegen. Trennen wir uns!«
Er zuckte freudig zusammen, ergriff die Ofenzange und wühlte in den glühenden Kohlen herum. »Trennen?« fragte er leise. »Sind wir nicht schon längst innerlich getrennt?«
»Nun, – tun wirs jetzt auch äußerlich!« versetzte sie, ihre Gemütsbewegung verbergend.
»Wie du willst . . . Wenn du meinst?« stotterte er von ihr abgewendet. Die Glimmerglasblättchen des Amerikanerofens beleuchteten eben sein bleichgewordenes Gesicht mit purpurner Glut. Sie beobachtete seine Züge, denen er einen gelinden, resignierten Schmerz aufzuzwingen suchte.
»Ich habs ja schon lange gewußt,« sagte sie mit tiefer Stimme, »daß du Emma Dorn liebst.«
Er erhob sich und wendete sich ihr zu. »Ein Wort von dir, Katharina,« entgegnete er mit tiefem Ehrenmannsbrustton, »und ich denke nicht mehr an sie.«
»Geh!« lächelte sie melancholisch. »Verstell dich doch nicht so.«
»Auf Ehrenwort!«
»Verpfände deine Ehre wo du willst; nur nicht in Sachen der Liebe. Übrigens, ich glaube dir ja, daß du, wenn ichs verlange, die Symptome deiner Liebesleidenschaft unterdrücken würdest. Was hätt ich davon? Von einer Tugend, dem heißen Blute künstlich abgerungen?«
»Katharina! ich bin kein Jüngling mehr!« hauchte er sanft.
»Nein,« versetzte sie. »Aber du gehörst zu jenen Männern, bei denen ein zweiter Tumult im Blute vielleicht stärker tobt als der erste.«
»O, o,« wendete er sanft ein, »du irrst.«
»Du hast im fünfzigsten Jahr dein Herz entdeckt,« fuhr sie fort. »Mich hast du nur aus Pflichtgefühl geheiratet . . . Wende nichts ein! ich weiß es! Jetzt hast du endlich den Prometheusfunken gefunden, der dich starre Thonstatue zum lebendigen Menschen umwandelt. Nun, ich stehe diesem Gotteswunder machtlos gegenüber, ich will dich nicht wieder zu leblosem Thon zurückgemodelt sehen, – ich trete zurück.«
Er war auf sie zu geeilt. »Katharina!« kam es dankbar über seine Lippen, – doch fiel er deshalb nicht aus der Rolle des schmerzbewegten Ehemannes.
Sie wehrte mit der Hand seinem Näherkommen ironisch ab. »Triumphiere nicht zu früh,« sagte sie mit einem Anflug leiser Verachtung.
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