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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Schulmeister durchprügeln; oder sie auf Spaziergängen ins Wasser schmeißen; oder wenn so ein Unbeliebter in die Klasse tritt, ihm sämtliche Bücher an den Kopf bombardieren.«
    Ein vorüberstürmender, von anderen verfolgter Tertianer hatte dem heftig gestikulierenden Revolutionär aufs linke Hühnerauge getreten, so daß er nun vor Schmerz, »Diverse Schnäpse!« schreiend, auf dem rechten Fuß herumtanzte, aber doch nicht wagte, den sehr kräftigen Tertianer, der ihn herausfordernd auslachte, anzugreifen.
    »Siehst du?« spöttelte Karl. »So gehts euch Anarchisten; die andern sind euch doch noch zu mächtig. Ich bin ja auch für Freiheit, ja Gesetzlosigkeit,« setzte er weise hinzu; »aber da muß erst das Menschengeschlecht dazu herangebildet werden! Vielleicht trag ich einmal dazu bei,« meinte er ernsthaft, fuhr dann aber wieder resigniert fort: »Nein, wenn mich mein Alter aus der Schul wirft, muß ich Journalist werden.«
    »Und ich werd Schauspieler!« rief Konrad.
    »Ach du!« spottete Körn; »mit deiner Nase – Schauspieler?«
    »Die Nase ist doch in der Mimik nicht die Hauptsache!«
    »Und deiner blechernen Stimme? Deiner fetten Kurzatmigkeit? Eher könnt ich auf die Bühne.«
    Jetzt kam der kleine Benjamin Rosental, der Sohn des reichen Bankiers, der von Karls bevorstehendem Schicksal gehört, klopfte ihm mit Gönnermiene auf die Schulter und sagte: »Wenn du kommst in Not, lieber Karl, komm nur zu mir.«
    Karl bat ihn sogleich um drei Mark; da war Benjamin sehr betreten; er wollte ihm zwar das Geld geben, verlangte aber 10 Pfennig Zinsen.
    »Du Wucherer!« schalt ihn Körn. »Dir werd ich je wieder an deinen Aufsätzen helfen!«
    »Wart nur,« drohte Benjamin, »ich werd deinem Alten sagen, daß du beim Buchhändler Kolb 500 Mark Schulden hast.«
    Die schrille Schulglocke machte dem bedenklich werdenden Gespräch ein Ende. Der Tumult im Schulhof ließ sofort nach, in den Gängen des großen Hauses rauschten dumpfe Schritte, bis dieses Rauschen in den ehrwürdigen Hallen immer leiser in geheimnisvollem Gemurmel erstarb. Hie und da schmetterte noch eine Türe zu, – dann folgte auf die vorhergehende laute Heiterkeit ein tiefer durch die düstern Räume schwebender Ernst. Die Säle hatten sich mit erwartungsvollen Jünglingsgesichtern gefüllt. Manches junge Herz begann im Gefühl der versäumten Lernpflichten ängstlich zu klopfen. Die Herren Lehrer traten mit vorbildlich würdevollen Gesichtern in ihre Klassen, – der staatliche Riesentrichter der Weisheit tat abermals seinen Mund auf.
    Dem Lehrplan gemäß kam jetzt die Religionsstunde. Dr. Simmers Gesicht trug heute einen noch kälteren Ausdruck als je zuvor. Seine Stimme klang schärfer, von christlicher Nächstenliebe war noch weniger an ihm zu merken als früher. Karl fühlte sich äußerst unbehaglich. Er bemerkte, daß ihn der Theologe mit kalter Verachtung behandelte. Einige Sticheleien über die modernen Freigeister, »die das Denken für ein Schwitzen des Gehirns halten«, mußte er direkt auf sich beziehen. Auch eine Bemerkung über Bürschchen, die noch nicht trocken hinter den Ohren sind und doch schon das große Wort führen wollen, konnte er auf sich deuten. Seine Kameraden merkten natürlich, wohin der ergrimmte Poet zielte und zischelten lebhaft untereinander. Schließlich versuchte der Theologe die Erdbebenkatastrophe von San Franzisko mit der Väterlichkeit Gottes in Einklang zu bringen. Einige Schüler, die er aufrief, widersprachen ihm. Er suchte die Einwände zu widerlegen, was ihm nicht leicht fiel, denn die meisten Schüler hatten bereits einige Philosophen – Schopenhauer, Hartmann, Nietzsche – gelesen, andere Schüler hatten eine völlig materialistische Weltanschauung. Am Schluß eiferte der eifrige Mann Gottes gegen die Grundsätze der Sozialisten und stellte die Knechtseligkeit als die höchste Tugend auf.
    Karl wußte nun, daß sein Vater dem Theologen mitgeteilt hatte, wer unter dem Pseudonym Paolo Reddi die Kritiken in der ›Litterarischen Wacht‹ schrieb.
    »Du, gib acht!« sagte in der nächsten Pause Konrad zu ihm. »Die Sach wird schlimm; s ist ein schlechtes Zeichen, daß dich Simmer nicht jetzt in der Pause vornimmt.«
    Karl zuckte die Achseln. Er hatte allerdings erwartet, daß ihn der Beleidigte zur Rede stellen werde. »Er bleibt unversöhnlich,« sagte er. »Er wird mich verklagen, ich bleib aber bei meinem Urteil. Keine Silbe nehm ich zurück, jetzt erst recht nicht!«
    »Ganz recht so,« belobte

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