Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
herüber.
Peter, der fette, grauschwarze Kater sprang ihm sofort entgegen und ließ sich streicheln. Er war der Sohn des Hauses, das Kind der beiden Damen, das auf alle Weise verwöhnt und verhätschelt ward. Nachts schlief das wundervoll gezeichnete Tier stets bei Emma im Bett, drückte sich in ihren Arm hinein und schnurrte dankbar. Ein großer Teil der Unterhaltung zwischen den Fräulein drehte sich um das Wohl und Weh Peters. Wenn er nicht zur rechten Zeit abends zum Fressen kam, füllte tiefe Besorgnis die zarten Gemüter, ob der Tapfre nicht etwa in ehrenvollem Streit um eine liebreizende Kätzin sein edles Leben eingebüßt habe. Kam er dann zerzaust und zerkratzt, so ward er mit Zärtlichkeit überhäuft, eingesalbt und verbunden wie ein echter Ritter. Um dieser ewigen Besorgnis ein Ende zu machen, gingen die Damen mit dem Gedanken um, sich an einen Tierarzt zu wenden. Emma behauptete, Peter gebe Antwort auf Fragen, sei überhaupt ein Genie. Karl nahm das Tier auf den Arm und strich ihm über das sammetweiche Fall. Nun trat Emma aus dem Arbeitszimmer ihrem Besuch entgegen. Sie war etwas phantastisch gekleidet. Ein langes, weißes Gewand, oben weit ausgeschnitten, so daß Hals und Schultern herausleuchteten, umhüllte ihren stattlichen Gliederbau; weite Bauschärmel ließen ihre vollen, schönen Arme bis an den Ellbogen erblicken. Nicht immer traf Karl die moderne »Sappho« (wie sie sich selbst oft scherzweise nannte) in solchem Glanz; zuweilen widmete sie sich, während auf ihrem Schreibtisch ihre Romanmanuskripte trauerten, dem prosaischen Geschäft des Strümpfestopfens. Das war dann eine geisterfrischende Abwechslung, eine gesunde Erholung. Manchmal schwang sie auch das glühende Bügeleisen; noch öfter den Pinsel, denn sie wollte ursprünglich Malerin werden. Heute jedoch hatte sie eben erst die noch von heiliger Begeisterung und dem Blute der Gelehrten tropfende Feder hingelegt. Ihre Augen hatten noch einen ganz verlorenen Ausdruck, sie fuhr sich mehrmals mit dem Handrücken an die gedankenträchtige Stirn; dann begrüßte sie den Besucher mit einem freundlichen mütterlich-schwesterlichen Lächeln, das aber doch eine Spur von Koketterie in sich barg. Ihr rechter Mittelfinger trug noch einen pikanten Tintenfleck, den sie jetzt mit dem Taschentuch abzureiben versuchte, wobei sie sagte: »Ich bin wieder wie Macbeth gekleidet in die Farbe meines Handwerks! O diese mechanische Beschäftigung des Kritzelns! Wenn das nur nicht wär! – Die Schultern tun mir wieder weh, der Schreibkrampf bildet sich immer deutlicher aus.«
»Sie sollten eine Schreibmaschine anschaffen?« meinte Karl.
»Ja, wenn so was kein Geld kostete, Sie kleiner Mann.«
Wenn sie besonders guter Laune war, redete sie ihn stets ›kleiner Mann‹ an. Karl hatte Emma dadurch kennen gelernt, daß ihm vor einem Jahr ihr Roman »Gold!« in die Hände gefallen war. dieser von eigentümlicher Anschauungskraft zeugende, sehr freigeistig geschriebene Roman hatte die Phantasie des jungen Schwärmers derart erhitzt, daß er der Dichterin sofort einen begeisterten Brief schrieb. Sie lud darauf hin den Enthusiasten, den sie für einen älteren Gelehrten hielt, ein, sie zu besuchen. Wie überrascht war sie, einen neunzehnjährigen Gymnasiasten zu ihren Bewunderern zu zählen. Da sie aber gleich merkte, daß dieser Jüngling ein ungewöhnliches Talent und eminente kritische Schärfe besaß, brach sie den Verkehr nicht ab, im Gegenteil, sie suchte ihn zu fördern, suchte Karl Körn zu ihrem Schüler zu machen. Sehr rasch war der Schüler ihr geistig über den Kopf gewachsen, sodaß sich ihrer schwesterlichen Zuneigung noch eine tiefe Achtung vor dem ›göttlichen Funken‹ beimischte, der in diesem schmächtigen Menschenleib wohnte.
Emma hatte sich in früheren Jahren der Malerei gewidmet, wozu sie ein recht hübsches Talent besaß. Nebenher hatte sie kleine Skizzen für Zeitungen verfaßt. Ihr erster großer Roman brachte ihr dann ein so anständiges Honorar, daß sie die nichts eintragende bildende Kunst aufgab, um sich ganz der Schriftstellerei zuzuwenden, die ihr wenigstens soviel einbrachte, daß sie gerade so leidlich leben konnte. Der Liebe und Ehe gegenüber verhielt sie sich durchaus ablehnend, obwohl ihr in ihren Romanen die Liebesscenen recht gut gelangen.
Karl stand noch immer betreten mitten im Zimmer.
»Setzen Sie sich doch,« rief sie, ihr prächtiges schwarzes Lockengewirr ordnend; »was bringen Sie denn, kleiner Mann?«
»Ich
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