Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
heute die freien, heiteren Sitten der Griechen? Eine ewige Angst: ›stoß ich nicht an? benehm ich mich auch anständig?‹ quält die Gemüter unserer Ehrenmänner. Aus dieser Angst wird dann Prüderie, Heuchelei! Damals: das Leben von der Kunst durchdrungen, selbst ein Kunstwerk. Heute: die Kunst von den Pfaffen als Sittenverderberin gebrandmarkt, verachtet! Wahrhaftig, ein gescheidter Mensch kann gar nichts Besseres tun, als solch einem Leben schleunigst entfliehen; wies bekanntlich Lessings Sohn schlauerweise getan hat.«
»Ich hab mich kürzlich mit theosophischen Schriften bekannt gemacht,« versetzte Konrad. »Die solltest du auch lesen. Ich sag dir, das gibt eine ganze Umwälzung im Gehirn. Die Theosophie hat auf alle Fragen eine Antwort.«
»Aber was für eine!« unterbrach ihn Karl.
»Ich sag dir weiter nichts, als sieh dir die Bücher an!«
»Da müßt ich zuvor den spiritistischen Unsinn studieren?«
»Tus! Du hältst dann vielleicht doch nicht alles für Unsinn . . .«
Karl sann vor sich hin. »Im allgemeinen hab ich eine starke Hinneigung zum Mysticismus,« sagte er. »Deshalb sollt ich gerad dem Spiritismus aus dem Weg gehen. Er wird mich noch nervöser machen. Ich hab als Kind hysterische Zustände gehabt, so daß ich fast ein Medium geworden bin.«
»Desto besser!« bemerkte Konrad. »Hier sind wir an meiner Wohnung; wart n Augenblick! ich spring nauf und bring dir das Buch.« Er eilte davon.
Karl rief ihm nach: »Du willst mich in die Hexenküche führen? Meine Seele auf dein Gewissen!« Er wartete aber, bis Konrad herunterkam und ihm das theosophische Buch brachte.
3.
Bald hatte Karl die Wohnung der Schriftstellerin erreicht. Das kleine Gartenhäuschen lag, rings umgeben von hohen Häuserwänden, mitten in Büschen und Bäumen. Erst gings durch die öde, finstre Torhalle des Vorderhauses, dann tat sich das Paradies des Gärtchens vor den schwärmerischen Blicken des jungen Mannes auf. Fräulein Dorn hauste hier allein mit ihrer Freundin Luise, wie eine verzauberte Prinzessin. Nun stand er vor der äußeren, vergitterten Glastüre; rings grüngelbrote Büsche, dahinter nüchterne Häuserwände, an denen sich nur teilweise wilder Wein emporrankte. Auch das Gartenhäuschen war von wildem Weinlaub umwoben, das bereits in allen Farben zu schimmern anfing. Das Schlafzimmerfenster stand offen; er konnte gerade das eine Bettkissen sehen und wenn er sich auf die Zehen stellte, auch noch ein Stück des Waschtischs. Ihn überlief ein eigenes behagliches Frösteln; die Nähe zweier schönen Damen wirkte auf sein jugendliches Herz. Alles, das leise Wispern hinter der Türe, das Schlürfen, das weiche Kleiderrauschen, deutete auf die graziöse Bewegung süßer Körper, auf die sanften, hohen Stimmen aus lieblichen Lippen.
Als er an der Vorplatztüre die Klingel in Bewegung setze, hörte er bereits das behagliche Brummen des Petroleumöfchens, auf dem die Damen ihr sehr einfaches Mittagessen kochten. Gleich darauf erschien Luise Ebhardt, die Klavierlehrerin.
»Sie?« lächelte die kleine, zarte Gestalt, die ein wenig auf dem linken Bein hinkte, was ihr etwas rührend Hilfsbedürftiges gab. Mitten im Satz brach sie ab, um schleunigst in die Küche zu trippeln, da sich der Petroleumherd allerlei Extravaganzen erlaubte.
»Sie sehen ja ganz verstört aus?« rief sie aus der Küche mit jener weichen Stimme einer ewig Leidenden, ewig Entsagenden.
»Bin ich auch!« brummte der Jüngling und eilte gleich in das freundlich ausgestattete Zimmer, in dem ein gedecktes Tischchen zum Mahle einlud. Karl dachte: man merkt doch gleich, daß hier weibliche Hände schalten, denen männlicher Zerstörungstrieb nicht wieder die mühsam aufbauende Arbeit verwirren darf. Die ganze müde Poesie verschämter Dürftigkeit, die ihre Leiden der Welt gegenüber sogar für Freuden auszugeben sucht, ruhte über diesem aus besseren Zeiten stammenden Hausrat, der nur mit Mühe den alten Glanz aufrecht zu erhalten suchte. Emma stammte aus einem alten Adelsgeschlecht; sie ließ ihr ›von‹ weg vor ihrem Namen, aber über dem ausgesessenen Sopha hing noch das in Gyps gegossene Wappen. Oft spottete sie über den Raubritterhelm über dem verschnörkelten Schild! Weit da hinten irgendwo in Pommern sollte sogar noch die Ruine ihres uralten Stammschlosses ragen. Überall hier Einfachheit, aber mit Geschmack; künstliche Blumen, schöne Farben, Bilder. Aus dem Nebenzimmer leuchtete ein purpurner Bettvorhang verheißungsvoll
Weitere Kostenlose Bücher