Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Emma. »Der Lehrer – den Schüler?«
»Ja – und mein Papa will mich, sobald mir eine Anklageschrift zugeschickt wird, aus der Schule schmeißen.«
»Das wäre ja schrecklich!« lispelte die Klavierlehrerin. Emma sagte anfangs garnichts. Sie kaute ruhig weiter, ward nur ein wenig bleicher und hüstelte leise vor sich hin.
»Kann mirs denken,« sagte sie endlich, »daß Ihr Vater Ihnen nicht helfen mag. Er will den Brutus spielen, – muß es beinahe. Und der starre Theologe . . . ich kenne ihn besser als Sie wissen! Dieser ehrsüchtige Streber! hm! Der konnte Sie ja nie leiden.«
»Nein,« bestätigte der Jüngling, »nie! Er verzeiht mir meine atheistische Weltanschauung nicht; meine politischen Ansichten sind ihm ein Greuel, und daß ich mir als Neunzehnjähriger erlaube zu dichten, das hält er für eine Frechheit. Nun gar so eine Kritik! Ich bin in einer schlimmen Lage. Was soll ich anfangen, wenn ich aus der Schule fliege?«
»Wir wollen sehen, was sich tun läßt . . .,« beruhigte ihn Emma, während Luise ihm einen mitleidigen Blick zuwarf. »Ich will Ihnen was sagen . . . so peinlich mir das ist . . . ich werde dem Doctor Simmer schreiben, er möge doch die Anklage zurücknehmen. Oder . . . wenn das nicht hilft . . . ich mach ihm einen Besuch.«
Karl war aufgesprungen. »Wenn Sie das für mich tun wollten, Fräulein Dorn!« stammelte er exaltirt.
»Man soll doch im Leben so viel als möglich Nutzen stiften?« lächelte sie. »Bleiben Sie nur ruhig sitzen; ich werd doch ein solches Talent nicht verkommen lassen? Aber so beruhigen Sie sich doch! Sie wissen ja, wie sehr ich Ihre Arbeiten schätze, – daß ich noch Hohes von Ihnen erwarte. Sie müssen Ihr Examen machen; denn ohne Titel oder Stellung erreicht man heutzutag nicht viel. Aber ich bitt Sie! was haben Sie denn? ich glaub gar, Sie fangen an zu weinen? Lieber Karl . . . das ist krankhaft; das müssen Sie sich abgewöhnen. Wie wollen Sie denn mit Ihren überzarten Nerven durch das rauhe Leben kommen? Sie brechen ja zusammen! Mensch, so flennen Sie doch nicht gleich bei jeder Gelegenheit! Man fürchtet sich ja ordentlich vor Ihrer Sensibilität.«
Karl suchte sich zu beherrschen, konnte aber nicht verhindern, daß seine Gemütsaufregung entschieden einen pathologischen Eindruck hervorrief.
Die weichherzige Luise tadelte die Freundin, daß sie des jungen Mannes Herzensweichheit stets so schroff zurecht wies und wendete sich sanft zu dem mühsam nach Fassung Ringenden. »Laß doch, Emma, den Herrn Körn sich ausweinen. Wenn das krankhaft ist, so machst dus mit deinem Tadel auch nicht besser. Du sagst doch selbst, Karl sei ein Genie? Genies sind ja stets so exaltirt, das weißt du doch; das kommt von der großen Phantasie, der intensiven geistigen Lebensdurchdringung . . .«
Emma lachte. »Sehen Sie, Karl, Luise hat schon viel von Ihnen gelernt. Geistige Lebensdurchdringung! Das Wort stammt aus Ihrem Wortarsenal. Nu – ich kanns im allgemeinen nicht leiden, wenn Männer so leicht in Tränen zerfließen; aber sie hat recht: Genies sind keine Männer. – Jedes große Kunsttalent hat mehr vom Weib als vom Mann; es gebiert ja auch! Also tun Sie Ihren Gefühlen keinen Zwang an!«
»Sie spotten mit Recht über mich,« sagte Karl, seine Tränen trocknend. »Aber bedenken Sie: man bringt mir zu Hause wenig Herzlichkeit entgegen. Mein Vater zeigt mir stets nur den Pädagogen; meine Mutter versteht mich nicht recht; sie hat überhaupt so große Eigenheiten . . . kurz, an ihr habe ich keinen richtigen Anhalt. Sie jedoch haben schon so viel für mich getan und nun . . . retten Sie mir vielleicht gar . . . das Leben . . .«
»Das Leben?« lächelte sie ungläubig.
»Meinen Sie,« fuhr er fort, »ich hätts ausgehalten aus der Schule gejagt, vor Gericht gestellt, bestraft zu werden?«
»Wenn mein Schritt erfolglos bleibt, kann das Alles noch kommen,« wendete sie ein.
»Er bleibt nicht erfolglos,« meinte er. »Wer kann Ihnen widerstehen?«
Sie lachte. »Meinen Sie? Nun warten wirs ab. Aber reden Sie mir nicht von so dummen Sachen, wie: Sie wollten die Welt verlassen. Sie sind der Welt erst noch große Dienste schuldig, eh Sie sie verlassen dürfen.«
»O,« fiel er ihr ins Wort, »ich zweifle eben mehr als je an meinem Talent.«
»So?« wies sie ihn zurecht, »und Ihr letztes Gedicht in der ›Litterarischen Wacht‹? Das zeugt von einer Zunahme Ihres Talents.«
Sie stand auf, schritt ins Nebenzimmer und kam mit
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