Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
Schweiß klebt überall auf seiner Haut.
»Danke, dass du gekkkkommen bist«, sagt Walpar mit klappernden Zähnen.
»Jemand muss sich doch um dich kümmern«, entgegnet Nera.
Tochter, schreit eine Stimme in Walpars Kopf. »Ach ja … herzlichen Glückwunsch nachträglich.«
»Du bist süß, Walpar.«
Der verzieht das Gesicht. Er hofft, dass Nera glaubt, dass das an den Schmerzen liegt. »Wa… was ist mit Tilko?«
»Er ist weg. Ich mache mir Sorgen. Das ist nicht seine Art.«
»Hat er irgendwas …?« Walpar muss husten. Seine Schulter nimmt ihm das ziemlich übel und er bleibt stehen.
»Nein, er hat nichts gesagt. Kein Abschiedsbrief, keine Urlaubsanschrift, und sein Pinguin ist abgeschaltet.« Nera sieht sich um, dann zeigt sie zum Parkcafé, das schräg vor ihnen liegt. »Sollen wir kurz ausruhen?«
»Geht schon«, behauptet Walpar. Dann sieht er die Scheinwerfer und Kameras. »Fernsehen ist da«, bringt er hervor.
»Komm«, sagt Nera und zieht an seinem Arm.
Es stellt sich heraus, dass das Fernsehen den Außenbereich des Cafés nutzt, um eine Falschparker-Gerichtsshow zu veranstalten. Dazu haben sie riesige Heizstrahler aufgestellt und eine Art zweite Sonne installiert, sodass die bunt gedeckten und gut besetzten Tische wirken, als stünden sie auf einer warmen Sommerwiese. Auf einem Podium sitzen zusammengesunken und mit Ketten gefesselt zwei Delinquenten, über deren Köpfen Displays aufgehängt sind, auf denen abwechselnd »Falschparker hinter Gitter« und »Präsentiert von Olympus City Public Transport« aufleuchtet. Das Publikum – ausschließlich Personen fortgeschrittenen Alters – buht gerade den Pflichtverteidiger aus, der auf einem Sockel steht und wild gestikuliert. Daneben hat man eine große Videowand aufgebaut, die das live produzierte Fernsehbild zeigt.
Nera setzt Walpar in einen Stuhl an einem leeren Tisch am Rande der Veranstaltung. »Zwei Multikaffee ohne Sahne«, zischt Nera dem Mikrofon in der Mitte des Tisches zu.
Kaum sitzen die beiden, kommen drei Exemplare der gefürchteten Marsspatzen angeflogen und setzen sich mitten auf den Tisch.
»Ihr kriegt keinen Kaffee«, droht Nera den Vögeln mit dem erhobenen Zeigefinger.
»Kaffee, Kaffee!«, zwitschert das Federvieh fröhlich.
»Nein, kein Kaffee «, wiederholt Nera ungeduldig.
»Kuchen, Kuchen!«
Walpars Blick fällt auf die große Videowand, auf der plötzlich nicht mehr die Falschparker-Show zu sehen ist. Breaking News verkünden zitternde, leuchtende Buchstaben.
»Verwöhnte Viecher«, sagt Nera abfällig. »Diese weichen Senioren geben euch alles, was ihr wollt, aber nicht mit mir …«
»Nera«, keucht Walpar und zeigt mit dem gesunden Arm zu der Videowand.
»Was?« Jetzt sieht Nera es auch.
»Ruhe!«, ruft jemand. »Ich kann nichts verstehen!«
»Was ist das?«, heult eine weibliche Stimme, die darin seit mindestens 90 Jahren Übung hat.
»Kuchen, Kuchen!«
Walpar schüttelt den Kopf, Nera ergreift seinen linken Arm.
Endlich dreht jemand den Ton auf. »… ich wiederhole: Zunächst von Amateurastronomen entdeckt, wurde jetzt bestätigt, dass ein mehrere Kilometer langes Objekt in den Erdorbit eingetreten ist, dass die Form …« Der Lärm der Senioren übertönt die Sprecherin.
»Es sieht aus wie …«, entfährt es Walpar.
»Kuchen, Kuchen!«
Nera verscheucht mit dem freien Arm die Marsspatzen, die empört tschilpend auf den nächsten Tisch flüchten.
Walpar starrt seinen Zeigefinger an.
»Wir sind alle verloren!«, heult die Neunzigjährige von vorhin und mehrere Jahrhunderte stimmen ein.
Der Pflichtverteidiger nutzt die Gelegenheit und schreit so laut er kann:
»Seht nur, der Zeigefinger Gottes! Er wird Gerechtigkeit obwalten lassen!«
Dann trifft ihn ein Stück Kuchen mitten im Gesicht.
3 Seniorenanstalt Geblümter Engel, Io
»Na, Frau Randolf, wie geht es uns denn heute?« Pflegeandroide Ulf kommt in das Achtbettabteil gerollt, in das die Seniorin geflohen ist. Es ist jeden Tag dasselbe Spiel: Frau Randolf will ihr Sedativum nicht nehmen, einer der Androiden durchsucht die ganze Etage, bis er die renitente Anstaltsinsassin unter ihrem Bett oder hinter einem Schrank findet. Heute hat die Dame die Nische hinter dem Nachtschränkchen als Versteck erkoren. Dem Androiden ist das relativ egal, er bucht die Herumrollerei auf ein gesondertes Zeitkonto. Sein blechernes Antlitz zeigt ein besonders verständnisvolles Lächeln, das dringend mal wieder poliert werden müsste.
Frau Randolf murmelt: »Morgen such ich mir ein besseres
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