Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
ho-hoch eure Hä-hände, zeigt Gott, dass ihr alle Fi-hinger habt!«, singt DJ Maxxi nur echt mit zwei X und mehrere Senioren heben einen Arm.
»Da!«, triumphiert Herr Vastic. »Diese Leute erkennen Kunst, wenn sie sie hören! Chipköpfe können das natürlich nicht nachvollziehen!«
»Herr Vastic, ich bringe Ihnen gleich eine Tablette«, droht Ralf. Der Mann hinter ihm scharrt mit den Füßen.
»Ich bringe jetzt den Besucher zu Frau Randolf«, verkündet der Pflegeandroide und rollt aus dem Gemeinschaftsraum.
Die Seniorenanstalt Geblümter Engel ist eine der kleineren auf Io. Wer hier seinen Lebensabend verbringen darf, hat Glück gehabt. Die meisten Plätze werden nämlich verlost. Wer eine Niete zieht, landet im Westerwälder Kammer oder Mittenwald 2.0 .
Zwar bieten mehrere Pharmakonzerne seit einigen Jahrzehnten Verjüngungskuren im preisgünstigen Abo an, aber irgendwann geht den Kunden das Geld aus. Die Konzerne reiben sich die Hände, wenn sie teure, lebensverlängernde Pillen in Hunderter-Sparpacks verkaufen, aber Medizin und Chemie schieben das Ende nur hinaus. Das Ende: Geld aufgebraucht, Lebensenergie noch nicht ganz. Körper, die nicht mehr ordentlich funktionieren, müssen gepflegt werden. Ein Knochenjob, der viel Einfühlungsvermögen verlangt. Seit den Seniorenaufständen von Mannheim und Kopenhagen hat auch der letzte Politiker kapiert, dass schlecht geschultes oder fehlendes Pflegepersonal mit Würde im Alter nichts zu tun hat. Genauso wenig wie Roboter. Aber die sind wenigstens unbegrenzt vorhanden und machen ihren Job ohne Folgekosten aufgrund notwendiger psychologischer Betreuung.
Das Geblümter Engel ist ein Kompromiss zwischen Würde und Finanzierbarkeit. Hübsche Tapeten, zahlreiche programmierbare Bilderrahmen an den Wänden, gemischte Zimmer und freie Ausübung von sexuellen Handlungen; Fernsehen, Computerspiele, Kaffee und Universal-Beruhigungsmittel ohne Limit. So lässt es sich leben, bis zum Schluss. Bloß raus aus der Anstalt lässt man die Alten lieber nicht. Die Versicherungsrisiken sind unkalkulierbar.
»Wir haben Besuch, Frau Randolf«, verkündet Ralf fröhlich, als er mit dem jungen Mann im Schlepptau das Sechsbettzimmer betritt.
»Ja ja, und jetzt hau ab.« Frau Randolf macht keine Anstalten, von ihrem Bett aufzustehen. Sie hat gerade eine 3D-Brille auf und malt mit ihrem Handcontroller Kreise in die Luft.
»Was spielst du, Omi?«, fragt der junge Mann, während Ralf blechern über die Türschwelle hinausrollt.
»Malen nach Zahlen«, behauptet Frau Randolf, »aber jetzt hab ich verloren.« Sie nimmt die 3D-Brille ab und wirft sie zusammen mit dem Controller auf ihr Kopfkissen.
»Du siehst bleich aus, Junge.«
»Ich komme wenig an die Sonne.«
»Ha! Komm ich an die Sonne? Nein. Und, wie seh ich aus? Genau.
Braun. Bin ja nicht nur zum Sterben hier.«
Frau Randolfs Enkel ahnt vermutlich, dass die Anstalt über ein Sonnenstudio verfügt, daher nickt er gehorsam.
»Ich wollte nur kurz vorbeischauen, bevor ich … ahm … eine Weile verreise.«
»Setz dich zu mir, Junge.« Die Alte klopft auf ihre bunte Bettdecke.
»Aber nur kurz, Oma.«
»Wie geht's deiner Freundin?«
Der junge Mann schluckt. Sein Kehlkopf hüpft dabei auf und ab. »Das ist im Moment etwas schwierig.«
»Such dir eine andere.«
»Ja, Oma.«
»Was fummelst du so mit deinen Fingern? Hast du einen epileptischen Anfall?«
»Nein, Oma.« Er schaut zur Decke, wo ein blaugelbes Kindermobile hängt. Smileys und Mauszeiger baumeln daran herum. »Es gibt da im Moment eine Sache, die mich ziemlich nervös macht.«
»Du meinst bestimmt den Finger.« Frau Randolf winkt ab. »Das macht hier auch alle ganz nervös.«
»Manche Leute halten ihn für den Finger Gottes.«
»Gott ist eine Illusion«, belehrt ihn die Seniorin. »Genau wie Opa. Ich dachte, das hab ich dir schon oft genug gesagt.«
»Ja, Oma.«
»Gott ist genauso real wie das Spiel, das ich vorhin deinetwegen verloren habe. Virtuell, irreal. Von Menschen ausgedacht. Ohne Menschen gäbe es keine Spiele und keinen Gott. Die Sterne und die Planeten, die wären trotzdem da. Wenn du an etwas Solides glauben willst, glaub an die.«
»Eigentlich geht es um etwas anderes, Oma.«
»Nein, Tilko. Lass dir das gesagt sein. Das ganze virtuelle Zeug ist nutzlos. Kümmer dich um Sachen, die du anfassen kannst. Zum Beispiel eine neue Freundin.«
»Wenn du es sagst, Oma.« Tilko wirkt traurig und erleichtert zugleich.
Vielleicht hat er sich von dem Gespräch mehr erhofft, aber im Grunde
Weitere Kostenlose Bücher