Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
ihm. Leuten, die nett zu ihm sind, kann Walpar nichts abschlagen.
Kerbil hat mittlerweile aufgehört zu singen, vielleicht kennt er den Text nicht vollständig. An der Ecke gegenüber lungern ein paar Vampire herum.
Schwarze Mäntel, gebleichte Gesichter, Flaschen mit Blut in den Händen.
Es sind natürlich keine echten Vampire, die bei Tageslicht zu Staub zerfallen und ein Problem mit Knoblauch haben, aber diese Typen wollen es nicht drauf ankommen lassen, laufen nur nachts durch die Gegend und machen einen Bogen um mediterrane Restaurants.
»Mister Marlowe«, quiekt Kerbil, »können wir bitte etwas langsamer rennen? Ich brauche dringend einen Whiskey.«
»Kriegst du«, murmelt Walpar. »Wir sind gleich in der, äh, Bar.«
»Ich geb Ihnen einen aus, Mister Marlowe.«
»In Ordnung«, geht Walpar sicherheitshalber darauf ein.
Die PharmaCode-Entgiftungsanstalt funktioniert komplett automatisch.
Wie die meisten psychologischen und sozialen Betreuungsangebote, verlässt sich auch dieses vollständig auf hochoptimierte Software in solide gebauten Robotern. Die kommen einfach besser mit Problemfällen klar als Menschen.
Außerdem sind sie viel billiger und verlangen keinen Zuschlag für Nachtarbeit.
Die Glastür öffnet sich von alleine. Walpar und Kerbil stehen vor dem Annahmetresen, hinter dem ein verzinkter Torso glänzt. Ein Putzer-Roboter krabbelt mit magnetischen Spinnenbeinen über den Körper und poliert ihn noch blanker.
»Hallo«, sagt Walpar. Er ist glücklicherweise schon länger nicht mehr hier gewesen und weiß nicht, ob der Empfangsroboter ihn als ehemaligen Patienten wiedererkennt. »Ich habe hier einen Fall von … äh, einer Überdosis Psychips. Vermutlich.«
»Willkommen in der PharmaCode-Entgiftungsanstalt. Ihr Vorgang wird jetzt bearbeitet.«
»Danke«, sagt Walpar.
»Einen Doppelten für Mister Marlowe und für mich«, bestellt Kerbil fröhlich und lehnt sich an die Theke.
Der Empfangsroboter wirft dem Jungen einen langen Blick zu. »Kann der Patient lesen?«
»Ganz gut, ja«, antwortet Walpar.
»Dann kann er in die Abteilung mit Laufschrift-Sponsoring. Dort kostet ein Behandlungstag nur 24,99 im Gegensatz zu 29,99 in der Radiojingle-Abteilung.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Wir schicken Ihnen einen täglichen Bericht über den Behandlungsfortschritt direkt auf Ihr Handy.«
»Danke«, freut sich Walpar.
»Für nur 0,99 zusätzlich.«
Walpar knirscht mit den Zähnen. »In Ordnung.«
»Wo bleibt mein Drink?«, erkundigt sich Kerbil. »Ist das hier eine Bar oder eine Wüste?«
»Bitte bestätigen Sie die Behandlungsbedingungen mit Ihrem Fingerabdruck«, sagt der Empfangsroboter und hält Walpar die Hand hin. Als der sie ergriffen hat, fährt der Roboter fort: »Und jetzt die Risikoausschlussbedingungen.« Walpar bestätigt auch die, ohne sie gelesen zu haben.
»Möchten Sie den Patienten selbst in seine Entgiftungskammer geleiten?«
»Ja, warum nicht?«
»Vielen Eltern fällt der Abschied schwer. Sie glauben, dass ihr Kind nach der Behandlung ein anderes ist als vorher.«
Walpar nickt betroffen. Dann nimmt er Kerbils Hand und tätschelt sie, weil er nicht weiß, was er sonst machen soll. »Wir nehmen unseren Drink woanders ein«, sagt er. »Komm mit.«
»Kammer Nummer 84, zweites Untergeschoss. Der Aufzug ist gleich rechts. Im Namen von PharmaCode wünsche ich einen angenehmen und reinigenden Aufenthalt.«
»Danke«, sagt Walpar.
Nachdem er seinen Neffen in die Entgiftungskammer gesteckt hat, wo ihn vier Fernsehschirme und zwei Spielekonsolen gleichzeitig von den Entzugserscheinungen ablenken, kehrt Walpar an die sandige Marsluft zurück.
Er fühlt sich jetzt auf belastende Weise erleichtert. Und wie ein kinderloser Rabenvater. Er sucht sich eine Bar, um einen alkoholfreien Whiskey zu trinken. Ganz alleine, ohne seinen jugendlichen Assistenten.
Der erste Whiskey schmeckt fade. Das trifft auch für den zweiten und dritten zu, obwohl er die mit Alkohol bestellt, daher gibt Walpar auf und wankt nach Hause.
Dort wartet schon der Gerichtsvollzieher.
6 Agentur MaxAdventure, Mars
»Unser Angebot lässt keine Wünsche offen«, verkündet der Kapuzenmann.
Den Atem hätte er sich sparen können, weil die bunte Projektion hinter seinem Rücken wörtlich dieselbe Botschaft verbreitet. Drachenflügel erschüttern die Kamera, Nebel steigt aus verwunschenen Tälern. Kondensierte Fantasie, prickelndes Verlangen nach dem magischen Kick.
Nera ist hier, weil sie den Werbespot von MaxAdventure gehört hat,
Weitere Kostenlose Bücher