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Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Titel: Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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eine bemitleidenswerte Kreatur. Im unteren Bereich des Bildes wird die aktuelle Wettquote eingeblendet. Mit einfachen Kommandos könnte auch Walpar Geld auf den Kandidaten setzen, aber das wäre offensichtlich Verschwendung. Die Quote beträgt 35 zu 1. Vermutlich gibt es Kandidaten, bei denen das Geld besser angelegt ist.
Der Moderator – ein schlaksiger Kauz namens Leslie, der sonst hauptsächlich Rugbyspiele kommentiert – klopft dem Totengräber auf die Schulter. »Bravoooo!«, krächzt er. »Ein beeindruckendes Plädoyer. Falls Sie, liebe Zuschauer, für das Fingerbegräbnis spenden möchten, erhalten Sie eine Gratis-Eintrittskarte für das Event.«
Der Totengräber nickt ernst. »Zwei können wir uns nicht leisten«, röchelt er. Die eingeblendete Wettquote beträgt jetzt 40 zu 1.
»Übrigens ist der Song, den wir soeben gehört haben, leider noch nicht käuflich zu erwerben«, verkündet Leslie und wackelt mit dem Kopf.
»Wir stehen in aussichtsreichen Verhandlungen mit bedeutenden Musikfirmen«, behauptet der Totengräber.
»Kommen wir nun zum letzten Kandidaten«, jauchzt Leslie und streichelt seinen Haarturm. In einer Ecke des Bildes wird der Frisurautomat eingeblendet, dem Leslies aufrechte Schopfpracht zu verdanken ist. Wer möchte, kann das Gerät sofort zum Sonderpreis erwerben. Walpar besitzt bereits eine ähnliche Maschine, aber die versucht ständig, ihm seinen Zopf madig zu machen oder die Brauen blau zu färben.
Der Moderator öffnet die Pforte einer Gruft, die Kamera blendet um und zeigt, wie Leslie aus einem Zug steigt. Er betritt den Bahnsteig und macht eine allumfassende Geste. »Früher war alles besser. Die Sessel in den Zügen waren gepolstert, die Lokomotiven rochen nach Feuer und die Bahn fuhr pünktlich.« Leslie geht den Bahnsteig entlang und erreicht das vordere Ende des Zuges, aus dem er gerade gestiegen ist. Da hängt eine beeindruckende Dampflok, die zischt und keucht, als hätte sie Probleme mit dem niedrigen Luftdruck auf dem Mars. »Unser letzter Kandidat, liebe Zuschauer, hat eine ganz besondere Erklärung für das Erscheinen des Göttlichen Fingers. Sie steht nämlich im Fahrplan. In welchem Fahrplan, das verrät möglicherweise jetzt Herr Gern den Wool, Hohepriester der Jünger der pünktlichen Ankunft .«
Leise Orchestermusik setzt ein, und Leslie verlässt das Bild. Die Kamera zeigt, wie ein ergrauter, langbärtiger Herr in leuchtend blauer Uniform dem Führerstand der Dampflok entsteigt. Geigen und Posaunen begleiten seine Schritte hinunter auf den Bahnsteig, die Pauke dröhnt, dann hebt der Hohepriester seinen Signalstab und beginnt zu singen.
»Acht Uhr neun an Gleis drei, grün leuchten die Signale … die Fahrt ist frei …«
Walpar ist fasziniert. Der Hohepriester trägt eine Art Fahrplan in klassischem Gesang vor. Das macht zwar überhaupt keinen Sinn, aber der Kerl kann wirklich singen. Aus voller Brust verkündet er, dass er sich vor seine eigene Lok werfen wird, wenn er einmal die Reisenden zu spät ans Ziel ihrer Träume bringt, und dass in seinen Adern spezielles Schmieröl fließt, das er mittels eines spitzen Gegenstandes jederzeit hervorholen kann, um das Triebwerk der Lok zu schmieren. Er fährt bei jedem Wetter, kennt Strecke und Fahrplan auswendig, grüßt die verständnisvollen Fußgänger, die an der geschlossenen Schranke warten müssen. Dieser Priester gewordene Eisenbahner berührt die Herzen der Zuschauer, und seine Quote zeigt 1,13 zu 1.
Er steht quasi als Sieger fest, und auch Walpar hat schnell einen Hunderter gewettet, um einen minimalen, aber ziemlich sicheren Gewinn zu kassieren.
Am Ende seines Vortrags steht der Hohepriester oben auf dem Kessel seiner durch die Nacht donnernden Dampflok, klappt ein unglaublich dickes, metallisch verziertes Kursbuch auf, hält den Finger an eine bestimmte Stelle und singt: »So steht's geschrieben, im Fahrplan der Sterne: Gottes Zeichen, pünktlich trifft es ein – Ankunft zwölf Uhr achtzehn, Erde Endstation!«
Tosender Applaus, den der Priester mit angedeutetem Kopfnicken entgegennimmt. Offensichtlich selbst höchst beeindruckt stellt sich Moderator Leslie neben den Sänger und flüstert beinahe, als er den Zuschauern verkündet: »Das war Gern den Wool, Hohepriester der Jünger der pünktlichen Ankunft. Er hat mir erlaubt, den Heiligen Fahrplan einmal zu berühren …“Leslie nimmt vom wohlwollend lächelnden Hohepriester dessen verziertes Kursbuch entgegen und hält die aufgeschlagene Seite in die Kamera.

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