Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
ein paar Hundert Bassgewitter später drauf und dran ist, es sich anders zu überlegen, gibt Lang X ihr ein Zeichen und verlässt Tanzfläche und Disco. Nera bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, weil die Vampire bloß auf diese Gelegenheit gewartet haben. Sie winkt ihnen zu und steht kurz darauf mit ihrem Abenteurer draußen. Während sie noch überlegt, wie sie ihn am geschicktesten verführt, holt Lang X einen Kammbot hervor und setzt ihn auf seinen Kopf. Das Gerät richtet die Frisur seines Besitzers, der sagt: »So, ich habe jetzt Feierabend. Wir treffen uns morgen um acht in der Agentur.«
»Feierabend«, entfährt es Nera.
Lang X zuckt mit den Schultern. »Vertraglich vorgegebene Pausenzeiten.
Die Gewerkschaft, Sie wissen schon.«
»Verstehe«, sagt Nera. »Rufen Sie mir noch ein Taxi?«
»Schon geschehen.« Der Chinese zeigt auf ein Elektrotaxi, das am Straßenrand steht. »Welches Hotel?«
»Hotel?« Eigentlich hat Nera sich ja bei Walpar einquartiert. Da steht ihre Reisetasche, aber in der ist ohnehin nichts Wichtiges drin. Eine KI-Zahnbürste mit Wegwerfputzkopf stellt jedes Hotel zur Verfügung, das zu einer Frau passt, die schwarzen Fummel von Daphne de Mkono trägt. Außerdem ist Nera böse auf Walpar. Sie möchte Lang X nahe sein, nicht Walpar. Er wird sie zwar nicht ins Hotel begleiten, aber in Gedanken wird er dort bei ihr sein. Beziehungsweise in ihren Träumen.
»Augenblick«, sagt Lang X, als Nera Anstalten macht, in das Taxi zu steigen.
»Ja?«, fragt Nera und schöpft Hoffnung.
»Sie sollten wissen, dass ich ein … Geheimnis habe.«
»Sind Sie schwul?«, entfährt es Nera.
Lang X verzieht keinen Gesichtsmuskel. »Ich erzähle es Ihnen ein andermal. Ich wollte nur, dass Sie es wissen.«
»Dass ich was weiß?«
»Gute Nacht, Madame Zerhunnin.« Lang X macht einen Schritt rückwärts und senkt für einen Sekundenbruchteil den Blick. Dann dreht er sich um und läuft die Straße hinunter.
Nera sieht ihm nach, bis die Taxi-KI sie darauf hinweist, dass pro Minute abgerechnet wird, auch wenn nicht einmal ein Ziel eingegeben wurde, ach ja, und in welchem Hotel wohne sie doch gleich?
Nera zögert. Dann entlässt sie einen tiefen Seufzer in die kühle Nachtluft des Mars. »Solar Plaza«, sagt sie und macht es sich auf der Passagierbank bequem. Man gönnt sich ja sonst nichts.
7 Olympus City, Mars
Der Gerichtsvollzieher hat ein Kamerateam mitgebracht, das die ganze Angelegenheit live auf dem Juristen-Kanal JKTV© überträgt. Eine rothaarige Praktikantin in einem knappen, braunen Kleid bedient die Kamera. Neben ihr bearbeitet ein Langbartträger im grauen Plastikpulli das tragbare Regieterminal, als wäre er ein DJ, der in einer Nobeldisco live einen Slapstickfilm dreht. In angemessenem Abstand von ein bis zwei Metern haben sich gelangweilte Gaffer eingefunden; ein Typ mit schreiend buntem Kittel verkauft Bier aus einem Backpack, das prickelnde Werbespots zeigt.
»Muss das sein?«, fragt Walpar und meint die Gesamtsituation. Er hat zwei Mordanschläge hinter sich, seinen Neffen in die Entgiftungsanstalt einliefern müssen und seine Ex-Schwiegermutter vor den Kopf gestoßen. Außerdem kommt er bei seinem aktuellen Fall nicht weiter, und dazu hat ihn nicht einmal jemand beauftragt, geschweige denn Honorar versprochen.
Walpar fühlt sich müde und ausgelaugt, er würde jetzt gerne ein heißes Bad nehmen, ins Bett gehen und morgen in aller Frische den Herausforderungen des Lebens erneut entgegentreten.
»Sind Sie Herr Walpar Tonnraffir, wohnhaft hier, ledig, von Beruf Weltraumdetektiv?« Der Gerichtsvollzieher sieht Walpar ausdruckslos an. Seine rote Nase gleicht einer Kraterlandschaft, die Augen tränen ihm vor Freude.
Sein Sakko verfügt an der Stelle, wo sich normalerweise die Brusttasche befindet, über ein Display. Darüber läuft in rasantem Tempo Text, der ein bisschen wie Nutzungsbedingungen aussieht, bloß ohne den »Ich bestätige, dass ich dies alles gelesen habe«-Knopf.
»Ich glaube nicht, dass ich Ihre Fragen beantworten muss«, meint Walpar.
Die Gaffer murmeln beifällig. Die Sache verspricht interessant zu werden.
»Doch«, sagt der Gerichtsvollzieher und tippt sich aufs Display. »Steht alles hier.«
»Die Buchstaben sind zu klein. Ich kann das nicht lesen.«
»Es kommt nur darauf an, dass es hier steht«, erklärt der Gerichtsvollzieher aufgeräumt. »Weiß doch jeder.«
»Können wir nicht reingehen?«, fragt Walpar, dem es unangenehm ist, vor seiner Haustür bloßgestellt
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