Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
und verdrillt ihn zu einem Züchtigungsinstrument. Dann nimmt er vor der Tür im Schneidersitz Platz.
Mit verschränkten Armen sitzt Kerbil auf der Pritsche. Am ersten Tag hat er noch so getan, als könne er gar nicht lesen, am zweiten haben sie ihm »erhebliche Konsequenzen« angedroht, wenn er nicht endlich seiner heiligen Pflicht nachkäme, am dritten kam der Onkel zum ersten Mal.
»Heute wollen wir uns über die Inlands-Schlafwagenzüge im Sommerfahrplan 1983 unterhalten«, zwitschert der Onkel. »Beginnen wir mit dem D 711. Von wo nach wo bringt er seine müden Reisenden?«
»Von Dortmund nach München«, knirscht Kerbil und zieht die Knie ans Kinn.
»Welche Uhrzeit sah wohl seine Abfahrt?«
»22 Uhr 39.«
»Und wann endete die spirituelle Fahrt der Reisenden des D 711?«
»Um 8 Uhr 49. Es sei denn, sie stiegen vorher aus.«
Der Onkel lächelt und entblößt dabei seine enorme Zahnlücke. »Du machst Fortschritte, lieber Novize.«
»Wann lasst ihr mich gehen?«
»Das steht geschrieben in den unergründlichen Seiten des Großen Fahrplans.«
»Und was steht da?«
»Oh, selbst ich bin nicht fromm genug, um diese göttlichen Seiten zu schauen.«
Kerbil sieht betreten nach unten und zupft an seinen Socken, die es irgendwie geschafft haben, halb um seine Füße zu rotieren. »Ich vermisse meinen richtigen Onkel.«
»Oh, wir alle sind jetzt deine richtigen Onkel. So hat es unser Hohepriester im Großen Fahrplan gelesen.«
»Und da hat er auch gelesen, dass der Zeigefinger auftaucht?«
Der Jünger nickt andächtig. »Ist das nicht herrlich? Und wir haben so viele neue Freunde gefunden, die uns Unmengen Geld spenden. Wir sind reich und werden bald noch reicher sein!« Schlagartig ändert sich sein Tonfall.
»Lass uns nun über die Eilzüge zwischen Lübeck und Hamburg sprechen …«
»Das ist unfair, die hab ich mir noch nicht angesehen.«
Der Onkel zieht ein Gesicht, als hätte ihm jemand gegen die Kniescheibe getreten. »Das ist gemein von dir, Novize Kerbil. Du weißt, wie anstrengend es für mich ist, mich zu erheben.«
»Von mir aus bleib sitzen.«
Stöhnend entwirrt der Onkel seine Beine und stemmt seinen Wanst in die Höhe. »Der Große Fahrplan sieht keinerlei Verspätungen vor.«
Kerbil verdreht die Augen. Er weiß, was jetzt kommt, und hält dem Jünger seine Rückseite hin. Die Schläge mit dem zusammengewickelten Schal tun nicht weh, sind eher symbolisch. Er muss auch nicht die Hose runterziehen oder so: Der Onkel ist nicht in dem Sinne pervers, er steht bloß auf akkurat auswendig gelernte Fahrpläne.
Das ändert aber nichts daran, dass Kerbil dringend aus diesem verrückten Tempel fliehen muss – er hat bloß keinen Schimmer, wie er das anstellen soll.
13 Zeigefinger, Weltraum
»Liebe Fahrgäste«, meldet sich Busfahrer Version 8.1 Service Pack 5, »aus aktuellem Anlass teile ich Ihnen mit, dass wir nun doch die Genehmigung erhalten haben, auf dem Busbahnhof des Fingers zu landen.«
»Das höchst erstaunlich«, zieht Lang X die Brauen hoch.
»Die Sache hat einen Haken«, murrt Walpar, »das spür ich in beiden Ohrläppchen.«
»Allerdings«, fährt der Busfahrer fort, »wird es nicht möglich sein, auszusteigen. Vielmehr werden wir zusätzliche Fahrgäste aufnehmen.«
Walpar sieht den Gang hinunter und hinauf. »Viele freie Plätze gibt's aber nicht mehr«, meint er.
»Es handelt sich dabei«, so der Busfahrer weiter, »um abgeschobene Pilger, die wir bis zum nächsten Weltraumbusbahnhof kostenfrei befördern werden. Da ich darauf programmiert wurde, weise ich darauf hin, dass weder ich noch meine Entwickler für daraus resultierende Komforteinbußen haftbar gemacht werden können. Ich bitte alle Fahrgäste für die Unannehmlichkeiten im Voraus um Verständnis, vielen Dank. Aufgrund der vielen Nachfragen schalten wir jetzt noch einmal live zum Sprecher der provisorischen Regierung der sogenannten Orbitalkanzlei.«
»Ach du Scheiße!«, entfährt es Nera, und es ist unklar, ob sie die letzte Anmerkung des Busfahrers meint oder die durch ihr Fensterchen erkennbaren Menschenmassen, die sich um die Bushaltestelle drängen.
Walpar kratzt sich die Bartstoppeln. Seine letzte Rasur liegt bereits eine Weile zurück. Lang X wirft ihm einen überlegenen Blick zu. Der Asiate streicht sich demonstrativ über die glatten Wangen. Walpar fragt sich, was diese Geste soll. Glaubt der gemietete Abenteurer, dass es eine Art Konkurrenzkampf zwischen ihnen gibt? Wenn ja, um wen oder was? Um die Lösung des Falls? Um das
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