Walpurgistag
ist immer wieder darüber verwundert, dass ausgerechnet die Scheußlichkeiten der DDR überlebt haben: hartes Klopapier, Sandmännchen, Trabant, Schlagersüßtafel und Wilthener Goldkrone, beworben mit dem Spruch: »Produkte aus der Heimat.« Da scheißt doch die Sau drauf.
Kurz bevor er den Platz erreicht, schaut Micha Trepte noch mal auf seine Liste: Sperrung der Gasversorgung in der Fahrschule Klausner. Er hat nicht gerade eine Schwäche für Fahrschullehrer, seinen hat er als ziemlich aggressiv in Erinnerung. Ohne seinen Kollegen fühlt Micha Trepte sich etwas unsicher. Warum musste der sich auch gestern krankmelden? Wollte wohl zwei Tage eher in die Uckermark verschwinden. Was ist, wenn der Besitzer nun mit einer entsicherten Pistole hinter der Tür steht? Oder den Gashahn zur zweckentfremdenden Gasentnahme aufgedreht hat. Die Kollegen erzählen die unglaublichsten Geschichten, die sie allerdings
nie selbst erlebt haben. Einer soll mal in einem Kellerverlies eingesperrt worden sein, ein anderer wurde auf den Balkon ausgesperrt und musste Passanten bitten, die Polizei zu rufen. Abgesehen von den Damen, die ihre Schulden mit Sex abzahlen wollten. Blabla alles. Meistens ist es langweilig. Bis auf vorhin natürlich. Keiner seiner Kollegen wird ihm das glauben, deshalb wird er es ihnen auch nicht erzählen.
Micha Trepte betritt den Laden. An den Wänden hängen Schilder mit aufgemalten Kreuzungssituationen. » Wie viele Punkte in Flensburg?«, fragt eine Stimme hinter ihm in einem knarrenden Ton. Die Stimme kennt er. Warum soll es auch zwei Fahrschulen am Stuttgarter Platz geben. »Drei wegen Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der A 2.« – »Und eenen Monat Fahrverbot«, die Stimme lacht. »Oder isset nich doch schon ’ne Nachschulung?« Auch an das Lachen kann Micha sich erinnern. Er hat aber vollkommen vergessen, wie es damals innen aussah, 1984, als er hier seinen Führerschein machte. Er überlegt, ob er ihm das sagen sollte. »Sie sehen mich zu Fuß und mit einer Zange in der Tasche, die ich herausholen werde, sollten Sie Ihre Rechnung von, Augenblick ...« – Micha Trepte holt seine Liste hervor – »645 Euro nicht sofort in bar bezahlen, Herr Klausner. Trepte von der GASAG.« Der Mann, der aus dem Nebenraum gekommen ist, nickt. Früher war er jünger und dünner. Naja, er selbst auch. »Ick zahle nich.« – »Sie haben drei Zahlungsaufforderungen bekommen, irgendwann sind wir mit unserer Geduld am Ende.« – »Interessiert mir nich, ick seh nich ein, dass ick Ihren defizitären Laden noch länger unterstütze. Und Gas aus Russland will ick ooch nich.« Trepte sieht, dass er es hier mit einem sturen Hund zu tun hat. »Aber Sie haben doch das Gas verbraucht, oder leugnen Sie das?« – »Ick will Elektroöfen, aber ick krieg keene, gibt mir der Vermieter nich.« – »Das ist leider nicht das Problem der GASAG. Ich muss, wenn Sie nicht zahlen, die Versorgung sofort unterbrechen.« – »Tun Se, wat Se nich lassen können, is sowieso bald Sommer, und kochen muss ick ooch nich hier.« Micha Trepte holt eine Zange aus seiner Tasche. »Wo
ist der Zähler?« Der Fahrschullehrer zeigt auf eine Nische im Flur und fragt streng: »Sind Sie aus dem Osten oder aus dem Westen? « – »Spielt das eine Rolle?« – »Allerdings, durch’n Osten sind wa ruiniert worden.« – »Aber Sie müssen doch am Anfang ganz gut vom Mauerfall profitiert haben.« – »Mein Laden war immer voll. Aber drei Jahre nach der Wiedervereinigung hörte es schlagartig uff. Det hat sich total verkehrt. Na, die Jeburtenzahlen jehen ooch zurück. Und die Fahrlehrer, die in Brandenburg keene Arbeit mehr haben, strömen wohin, na? Wir merken det jerade hier in Charlottenburg, die kommen von außen, machen een Jeschäft auf und unterbieten die Preise, naja, det is halt so, da muss man durch. Die Leute denken, wenn ick ’n Fünfer einnehme, is det meiner, na. Det ist natürlich ein erheblicher Trugschluss, wir sind ja nich mehr in Westberlin, wo man mit ’n paar Tricks steuerfrei war.«
Trepte schweigt, er muss sich auf das Rohr konzentrieren. Und husten muss er auch, in der Nische liegt der Staub zentimeterdick. »Ick sach Ihnen, ick bin schwarz wie die Nacht, wat die Politik anjeht, immer CDU, seit ick denken kann. Und all die Vorwürfe, die jetzt kommen, von wejen die Schwarzen haben die Stadt in den Ruin getrieben, allet Quatsch, det liegt nur daran, dass in den Zeitungen nichts als Rote sitzen. Wenn dit so weiterjeht,
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