Walpurgistag
paar junge Türken hinterher und machen Bemerkungen in ihrer Muttersprache.
Warum habe ich es eigentlich noch nie mit einem von denen versucht? Die trinken wenigstens nicht, wenn sie ihre Religion ernst nehmen. Andererseits steh ich nicht so auf Religionen, aber es muss ja keine Beziehung für ewig sein. Hauptsache kein Trinker, kein Schläger und kein Neonazi.
Auf dem Weg zum Auto gibt Katrin Manzke ihren Hüften einen leichten Schwung. Ich will mal nicht so tun, als wäre ich eine müde Vierzigjährige. Ich bin eine erfahrene Frau, Jungs, bei mir könnt ihr noch was lernen. Ich habe heute Abend ein Blind Date, falls ihr wisst, was das ist.
Sie schauen ihr hinterher, als sie ihr Auto startet und Neukölln verlässt. Das ist einfacher gesagt als getan, denn der Nachmittagsverkehr quält sich durch die Karl-Marx-Straße. Am Rathaus Neukölln kommt der Verkehr gänzlich zum Erliegen. Katrin Manzke trommelt mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Neben ihr auf der Reklamewand steht ein Paar vor einem in Rot getauchten See. Sie sehen aus, als hätte sie jemand, der gerade eine dreiwöchige Weiterbildung in Computerdesign gemacht hat, in das Foto des Sees geklont. Copy and Paste. Die Frau ist dabei etwas zu groß geraten. Sie trägt eine Frisur, wie sie sich heutzutage nicht mal mehr alte Damen machen lassen. »Heute Abend Rot genießen.« Erst auf den zweiten Blick sieht Katrin Manzke, dass es sich um eine Reklame für Wilthener Weinbrand handelt. Goldkrone. Ihr wird sofort schlecht. Mit dieser Schnapssorte sind Erinnerungen an entsetzliche Abstürze verbunden. Mit sechzehn im Schulklub; ihr erster Freund hatte ihn heimlich mitgebracht und in die Cola gekippt, sie wachte in der Notaufnahme auf, und ihr Vater knallte ihr rechts und links eine. Die letzte Ohrfeige, danach ist sie ausgezogen, hat sich eine Lehrstelle außerhalb Berlins gesucht, in Schwedt, im Petrolchemischen Kombinat, wo es ein Internat gab und Lehrgeld. Davon konnte sie sich etliche Flaschen Goldkrone im Monat kaufen, und wenn’s nicht reichte, blieb immer noch Goldbrand, dieser Billigfusel, von dem sie in ihrem Leben ein paar Hundert Flaschen zu viel getrunken hat.
Der Werbefuzzi hat übertrieben weiße Zähne. So ein grau melierter Arsch, der soll wohl Vertrauen einflößen. Und die doofe Tussi fällt drauf rein, und am nächsten Morgen ist ihr schlecht. Irgendein Witzbold hat den beiden Kleiderständern Sprechblasen an die Bäuche geklebt: »1. Mai 2002 Naziaufmarsch stören blockieren verhindern.« Bei Naziaufmarsch fallen ihr ihre Tochter und deren erster Freund ein. Diese hässlichen Springerstiefel im Flur. Und die Camouflage-Klamotten, die der immer trug und die ihre Tochter wusch, weil der Depp der Meinung war, dass Wäschewaschen Frauenarbeit sei. Glücklicherweise kam er in den Knast, bevor Katrin ihre Tochter rausschmeißen musste. Die hat dann einen anderen kennengelernt, einen ohne Glatze. Und Katrin hat sich einen »Nazis raus«-Aufkleber auf die Heckscheibe ihres Autos geklebt. Kurze Zeit später war ihr Lack zerkratzt. Aus dem Hakenkreuz an der rechten Tür hat sie ein Fenster gemacht. Mit Gardinen.
Beinahe hätte ihr so ein Angeberkabriolett die Vorfahrt genommen. Beige Ledersitze. Wie furchtbar. Und der Typ erst. Schlimmer als der auf dem Plakat. Katrin Manzkes Handy schnarrt. Sie kramt es aus der Handtasche. Endlich ihr Blind Date. »Ich rieche an deiner Möse. Sie durftet.« Durftet. Naja, das finde ich jetzt nicht so prickelnd, denkt Katrin Manzke und ist sich nicht mehr so sicher, dass gut wird, was sie da am Abend vorhat.
15.00 Uhr
Micha Trepte nabelt eine Fahrschule am Stuttgarter Platz ab
Micha Trepte läuft am Bahndamm entlang in Richtung Stuttgarter Platz. »Heute Abend Rot genießen«, liest er im Vorbeigehen an einer der Werbetafeln. Wilthener Goldkrone. Wer trinkt denn heute noch so was? Micha Treptes Kollege hat schon oft, für Michas Geschmack zu oft, von den Weihnachtsfeiern im Energiekombinat in den Siebzigern erzählt, als sie nach den Goldkrone-Orgien vom Pförtner in Richtung Schönhauser Allee geführt wurden, damit sie nicht aus Versehen in Richtung Mauer gingen und dem Ruf des Energiekombinates Schaden zufügten. Einmal hatte jemand bei so einer Feier nämlich die Leitung gekappt, die die Scheinwerfer an der Mauer mit Strom versorgte. Das war Sabotage, und man hatte denjenigen auch gefunden und zu einer Haftstrafe verurteilt. Seitdem war man misstrauisch. »NEU jetzt auch mit Rotwein-Geschmack. « Heike
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