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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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damals, wenn eene krank oder verletzt war: Wird schon wieder wer’n ...
    Ilse: ... mit der Mutter Beern, ...
    Trude: ... mit der Mutter Born, ...
    Gerda: ... iss auch wieder wor’n.
    Ilse: Nur die Schmitten, ...
    Alle: ... die hat jelitten.
    (Die drei alten Damen sind jetzt sehr erschöpft von dem Gemetzel und müssen sich erst mal hinsetzen, am Colosseum, Ecke Gleimstraße. Die Schönhauser Allee liegt ganzfriedlich da.)
    Trude: Als könnt se keen Wässerchen trüben.
    Ilse: Eigentlich is det ’n Rabenaas von Straße.
    Gerda: Ick mag sie. Irgendwie kratzbürstig, aber elejant.
    Trude: Lasst uns die Gleim langlaufen und dann die Schwedter wieder zurück.
    (So gelangen sie immer tiefer und tiefer in den Prenzlauer Berg hinein, sodass sie sich fast darin verkriechen können und Zeit keine Rolle mehr spielt. Trude Menzinger redet noch über die platt gewalzten Soldaten auf der Gleimstraße, aber Ilse Köhnke hört nicht mehr zu, und Gerda Schweickert sagt: » Trude, jetzt ist’s aber genug mit dem Krieg.« Trude Menzinger fällt nichts anderes mehr ein, also hält sie ihre Klappe. Dafür redet Gerda Schweickert jetzt ununterbrochen, als wäre der Likör verspätet im Kopf angekommen.)
    Gerda: Der Bruder von meinem Mann, der ist nun jünger gewesen, durch Zufall wohnte der in Moabit, und der konnte sein Geld nicht halten, obwohl er gut verdient hat. Und dann hat meine Mutter gesagt, das war noch vor ’m Mauerbau, jetzt mache ich dir die Buchführung, du gibst mir dein Geld, und ich teil dir das ein. Und dadurch stand der schließlich ganz groß da, der hatte sogar Konten in der Schweiz! Die drüben haben ja noch andere Möglichkeiten gehabt. Aber das sind alles Sachen, die uns geprägt haben. Und meine Mutter hat nachher nicht mal’n Pfund Kaffee von dem zu Weihnachten geschickt gekriegt, ich meine, der hätte doch wenigstens mal ein Päckchen schicken können ...

22.05 Uhr
Sugar und Cakes plündern eine Plus-Filiale
    Sugar und Cakes sind zwanzig Meter von der Oranienstraße entfernt, als unter Klatschen und Johlen ein paar Punks anfangen, die Rollläden des Plus-Marktes in dem Eckhaus zum Oranienplatz aufzubrechen. Die Ersten kriechen schon in den Laden, ein Teil der Menge flutet zurück in Richtung Kuchenkaiser, Sugar und Cakes mittendrin, den frisch gesprühten Spruch vor Augen: »I. Mai, Autos brennen – Bullen sterben.«
    Wartet da nicht auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Frau, die aussieht wie ihre Mutter, das lila geblümte Kopftuch, das sie heute Morgen schon umhatte, fest unter dem Kinn zusammengebunden? Cakes duckt sich hinter Sugar. Das fehlte gerade noch, dass sie hier ihre Mutter trifft. Es gibt aber kein Entkommen aus der Menge, weil Polizisten den Zugang zur Oranienstraße abgesperrt haben. Cakes sieht noch, wie die Frau heftig gestikuliert und von einem der Uniformierten unsanft am Arm in Richtung Heinrichplatz geführt wird. Nicht, dass die Mutter auch noch im Gefängnis landet, wie ihr Bruder Miran. Und wenn sie selbst nicht aufpasst, kommt sie auch noch dran, denn die Bewegung der Masse geht eindeutig in Richtung Supermarkt. Schöne Familie, das gäbe wieder ein Gerede in der Verwandtschaft.
    Nebenan auf der Bühne ist Musik zu hören, Cakes kennt die Band nicht, die Musik ist langweilig deutsch, die Bühne ist durch ein paar zartgrüne Bäume verdeckt, bestimmt stehen da oben so ein paar blonde Strebertypen herum, die auf ihre Füßen schauen beim Gitarrespielen. Die Plünderung eines Supermarktes ist doch eine andere Unterhaltung, und es kribbelt gewaltig bis unmittelbar über dem Schambein, und Cakes hätte nichts dagegen, wenn es noch ein bisschen tiefer nach unten rutschen würde. Vor ihr
tritt ein Punk mit zwei Sixpacks aus der zersplitterten Glastür und gibt ihr mit übertriebener Geste den Weg frei. »Treten Sie ein, Madame, hier fließen Milch und Honig.« – »Ich mag weder das eine noch das andere«, sagt Cakes, und der Punk hebt grinsend das Bier hoch: »Bier is ooch Stulle. Schönen Abend noch, Lady.« Cakes kriecht durch das Loch und zieht Sugar hinter sich her. Im Laden ist es dunkel. Es knirscht unter den Schuhsohlen. Einer schreit: »Du kennst wohl Plus nich! Vorne ist nur Jemüse. Und Saft. Du willst doch wohl nicht ernsthaft Vitamine klauen? Du bist ein großer böser Junge, und da klaut man Schnaps und Fleisch. Und Fleisch ist gradeaus am Ende des Ganges, da, wo die Kühltruhen sind, und für Schnaps musste dich links halten, nah an der Kasse, aber mit Kasse

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