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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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wahrscheinlich zur Kompensation, auf das Dach der Bushaltestelle zu klettern, aber sosehr er sich auch anstrengte,
es wollte ihm nicht gelingen. Katrin versuchte, sich rückwärts in den Erkelenzdamm zu manövrieren, was sie dann nach einigem Warten, Fluchen und Bitten schaffte. Dort stellte sie sich in eine Parklücke.
    Seit einer halbe Stunde versucht sie nun schon zu schlafen, döst aber nur, weil sie insgeheim immer auf einen Anruf gewartet hat, der dann doch nicht kam. Vielleicht gäbe es ja hier einen von denen, die gerade vom Konzert weggehen, das offenbar zu Ende ist, mit dem sie anonymen Sex haben könnte, gleich auf dem Rücksitz. Aber sofort steigt ihr saurer Bieratem in die Nase, eine Geruchserinnerung der ganz besonders schlechten Sorte, augenblicklich fühlt sie sich in der Situation von damals nach der Disko versetzt, Jahre her, als erst der Mann, von dem sie sich gerade hatte scheiden lassen, dann der Freund ihres Geschiedenen und dann noch dessen Freund über sie hergefallen waren. Am nächsten Tag konnte sich keiner mehr erinnern, nur sie, obwohl sie viel zu viel Wodka getrunken hatte, aber zur Polizei brauchte sie gar nicht zu gehen, die waren ja alle hauptamtlich bei der Stasi. Danach hat sie viele Jahre keinen Mann mehr haben wollen. Dann kamen die schnellen Wechsel und jedes Mal der Traum vom Richtigen.
    Naja, sollte nicht sein. Und ist wohl sowieso eine blöde Idee mit anonymem Sex, da hätte ich auch eher daraufkommen können. Ich sollte meine trüben Gedanken verscheuchen, denkt Katrin. Am besten geht das mit Kuttner, dem Vollsympathen von Radio Fritz, wie sie ihn immer nennt. Wäre heute ein normaler Tag, hätte die Sendung gerade angefangen und er wäre noch mittendrin in seinem Lamento, dass er heute gar keine Lust habe, aber müsse. Katrin schneidet für die kuttnerfreien Zeiten jede Sprechfunk-Sendung auf Kassette mit. Sie hat extra ein superteures Autoradio mit Rekorder gekauft. Sie baut es immer aus, wenn sie in dunklen Ecken unterwegs ist. Eine Sendung dauert drei Stunden, zwei Neunziger-Kassetten. Sie schiebt eine Kassette ins Radio.
    Katrin Manzke hört die Sendung jetzt seit sieben Jahren. Aber noch nie hat sie sich getraut, bei Kuttner anzurufen. Die meisten, die in die Sendung geschaltet werden, sind seiner Intelligenz nicht
gewachsen. Das ist wie mit Spermien, da kommen auch nur die schnellsten, aber nicht unbedingt die klügsten zum Zug. Manchmal unterhält sie sich mit ihm, über alles, was ihr so durch den Kopf geht. Wenn er das wüsste!
    »Hallo? Eener, der nischt sagt. Also Kinder! ... Hallo, hallo. Ick meine, wenn Blinde anrufen, jeht ja noch, aber Stumme, naja.« Tuten in der Leitung. »Ist heute ’ne unglückliche Sternenkonstellation. Wovon hast ’n Ahnung?« – »Computer, ’n bisschen.« – »Nee, das lass ma jetzt ma weg. Kannste mit mir über Melancholie reden?« – »Hm, Melancholie, schwierig.« – »Weißte, was det is? Nee. Das ist natürlich blöde. Na denn man tschüss.« Tuten in der Leitung. »Ich würde gerne mit euch über Melancholie reden.« Tuten in der Leitung. »Keiner will mit mir reden. Ich merke, ich werde gerade wieder so melancholisch.« Der nächste Anrufer. Genauso blöd. Melancholie, da hätte sie anrufen können, darin ist sie Expertin. Sie dreht lauter.
    Kuttner: Nirvana ist zu nah am Selbstmord, ist es das wert? Hörer : Manchmal schon.
    Kuttner: Hast schon recht, meine ersten Selbstmorde waren o. k., aber man muss ein bisschen haushalten in meinem Alter. Weil die Brusthaare schon grau werden.
    Hörer : Wen interessiert das denn?
    Kuttner: Na die, auf die’s ankommt. Heinz, warum haste dich denn eineinhalb Jahre nicht gemeldet? Da werde ich misstrauisch, das habe ich ganz genau registriert.
    Hörer : Da war doch ’ne Beziehung. Und ’ne Beziehung geht zu Ende.
    Kuttner: ’ne Maus? Schrecklich. Und jetzt biste ganz unten? Hörer : Ja.
    Kuttner : Heinz, ehrlich, die Alte ist weg. Super.
    Hörer : Gar nicht super.
    Kuttner : Und jetzt trinkste Schnaps.
    Hörer : Schnaps mag ich nicht.
    Kuttner: Stimmt ja. Du bist ja der mit dem Kokosaroma-Tee, zur Not aus den Achselhöhlen zu trinken. Heinz, geht’s dir scheiße?

    Hörer : Du hast uns damals zusammengebracht, du hast einen Brief weitergeleitet.
    Kuttner : Ja, das war ’n Fehler. Und jetzt soll ich euch wieder auseinanderbringen?
    Hörer : Nee, wir sind schon auseinander, seit zwei Tagen.Und ich dachte, ich hätte die Frau meines Lebens gefunden, und dann war es doch nicht

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