Walpurgistag
so alt wie wir.« – »Ich sag ja nicht, dass wir grundsätzlich alt sind, aber wir sind zu alt für den Fußball.« Aber noch nicht zu alt zum Kinderkriegen, denkt Heike und schiebt Michas großen Zeh tiefer in ihre Scheide. Vielleicht sollte ich ihm bei der nächsten Chance für Leverkusen sagen, dass ich schwanger bin und wahrscheinlich nicht von ihm. Er würde gar nicht zuhören, und sie könnte immer sagen, er habe Bescheid gewusst.
Baştürk gibt ab an Neuville. Der macht eine kurze Drehung und zieht ab. Barthez ist wie so oft zu weit vor seinem Tor und hat keine Chance. Der Ball gerät kurz unter der Latte ins Netz. Micha springt auf und hüpft wie ein Irrer auf dem Bett herum, während Schiedsrichter Nielsen zur Halbzeitpause pfeift. »Tor! Tor! Tor! Wir kommen ins Finale.« – »Och, Mensch«, sagt Heike und steht vom Bett auf, »jetzt hast du aufgehört, gerade wo ich so weit war.« – »Tschuldigung, bist du jetzt sauer, komm her, ich mache in der Pause alles wieder gut.«
Im Fernsehen unterhalten sich lautlos zwei Experten über das Spiel, und Micha schiebt Heike zuliebe eine Pausenbelustigung ein. Als Micha mit einem Schrei, der wie ein Torjubel für Leverkusen klingt, auf ihr zusammensinkt, denkt Heike nur: Wird es eben eine Frühgeburt.
Im selben Moment klappt die Wohnungstür zu. » War Klara hier?« – »Offenbar.« – »Ob sie uns dabei zugesehen hat?« – »Keine Ahnung.«
21.35 Uhr
Die drei alten Damen geraten auf der Schönhauser Allee in eine Zeitmaschine
( Die drei alten Damen biegen, von der Danziger Straßen kommend, rechts in die Schönhauser Allee ein. Sie haben sich das nicht vorgenommen, es ist einfach so passiert weil sie aus dem Quatschen nicht rauskommen und immer tiefer in den Prenzlauer Berg geraten.)
Trude: Da sagt der doch in dem Laden: »Den Käse nehm ich hier nicht, der transpiriert mir zu sehr.«
Ilse (prustet los) : Käse, der transpiriert.
Trude : Stellt euch det ma vor. Und det in der Kollwitzstraße. In unserer Straße. Käthe Kollwitz dreht sich im Grab um. Früher hätten wa jesagt, det is dekadent. Dabei wohnen die doch nur bei uns, weil es ihnen in Kreuzberg oder Schöneberg zu viele Türken sind. Die lassen sich nich die Butter von ihrem Fladenbrot nehmen.
Gerda: Die sind aber ooch so ville.
Ilse: Während wir Ureinwohner hier doch inzwischen krass in der Minderzahl sind. Und die Aufmüpfigen von damals, die hier so zahlreich herkamen vor’m Umschwung, die rühr’n sich ooch nich mehr. Als wär’n se jelähmt.
Gerda: Woanders essen sie den Käse, wenn er schon fault.
Trude: Was heißt woanders, ick kenn welche, die ham so wenig Rente, dass se det Vaschimmelte abschneiden und das Gute essen.
Gerda: Nee, ick mein, da is der Schimmel Delikatesse.
Ilse: Na, ick weeß nich.
(Die alten Damen sind schon etwas angetrunken. Sie sind auf ihrem Spaziergang in einer Kneipe gelandet die sich Schusterjunge nennt. Trude Menzinger, die in der Pinte mal so gut wie zu Hause war, »zu meiner Zeit«, wie sie sagte, hat die beiden anderen überredet, einen Kurzen zu trinken. Es wurden drei Lange, Kirschlikör, und
sie immer lauter, sodass sie die Geräusche des Fußballspiels im Fernsehen glatt übertönten. Es stand noch 0:0, wer spielte, wollten die drei Frauen gar nicht wissen. Dann aber ist so ein junger Schnösel an ihren Tisch gekommen und hat sie aufgefordert leiser zu sein, denn sie wollten hier in Ruhe Fußballgucken und nicht ihr Ickedettekiekema-Gewäsch über den Prenzelberg hören, und Trude Menzinger hat gleich losgeprustet und den Stock bedrohlich geschwungen: »Prenzleberg, wat solln dit sein? Klingt ja echt nach Brezel. Und wenn was nach Brezel klingt muss es wohl Bayern sein. Gehen Se doch auf Ihren Brezelberg zurück, wenn’s Ihnen hier nich jefällt. « Sie habe ihn so dermaßen vollgelabert wie Gerda Schweickert meinte, dass das Bürschchen es vorzog sich zurückzuziehen. Aber der Wirt hat sie, nachdem sich der Dritte bei ihm beschwerte, gebeten zu gehen, sie vergraulten seine Gäste, und Trude Menzinger hat unter Ausstoßung von Drohungen, Flüchen und wüsten Beschimpfungen die beiden anderen aus der Kneipe gelotst. Dabei haben sie ganz nebenbei die Zeche geprellt.)
Trude: Die sollten das Ding in Brezelberg umbenennen. Und ick dachte, der Schusterjunge jehört denen noch nich. Hab ick mich jeirrt.
Gerda: Und wenn der Wirt die Polizei einschaltet, weil wir nicht bezahlt haben?
Trude: Hast doch jesehn, heut is Fußball. Der ruft da
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